Die Gottesliebe und ihre Kennzeichen

Die Gottesliebe ist der erhabenste Zustand in der Entwicklung unserer Seele und ihr summum bonum. Reue, Geduld, Frömmigkeit und andere Tugenden sind dafür bedingende Vorstufen. Diese Eigenschaften werden, wenn auch selten, doch bei wahrhaft Ergebenen gefunden  und die Allgemeinheit, welche dieser Eigenschaften zwar ermangelt, anerkennt sie als solche jedenfalls dennoch.

Die Gottesliebe ist nicht nur äußerst selten, sondern deren Möglichkeit wird sogar selbst von Ulema bezweifelt, welche sie einfach als (Gottes)Dienst bezeichnen. Deshalb, weil Liebe - ihrer Meinung nach - zwischen Geschöpfen der gleichen Art besteht und da Gott über unser aller Art und Weltlichkeit erhaben ist, ist Seine Liebe eine Unmöglichkeit. Aus diesem Grund wären die oft besprochenen ekstatischen Zustände der „wahrhaft Geliebten Gottes“ reine Einbildung. Weil nun dies von der Wahrheit weit entfernt ist und durch die Verbreitung falscher Ansichten der Fortschritt der seelischen Entwicklung gehemmt wird, werden wir dieses Thema kurz besprechen.

Als erstes zitieren wir Abschnitte aus dem Qur’an und den Ahadith, welche die Gottesliebe bezeugen.

O ihr, die ihr glaubt, wer sich von euch von seinem Glauben abkehrt, wisset, Allah wird bald ein anderes Volk bringen, das Er liebt und das Ihn liebt, (das) demütig gegen die Gläubigen und hart gegen die Ungläubigen (ist); sie werden auf Allahs Weg kämpfen und werden den Vorwurf des Tadelnden nicht fürchten. Das ist Allahs Huld; Er gewährt sie, wem Er will; denn Allah ist Allumfassend, Allwissend. [5:54]

Und es gibt unter den Menschen einige, die sich außer Allah Seinesgleichen (zum Anbeten) nehmen und lieben, wie man (nur) Allah lieben soll. Die aber, die glauben, lieben Allah noch mehr. Und wenn (doch nur) diejenigen, die Unrecht tun, angesichts der Strafe sehen könnten, dass die Macht gänzlich bei Allah ist und dass Allah streng in der Bestrafung ist! [2:165]

Diese Abschnitte bezeugen nicht nur die Gottesliebe, sondern weisen auch auf die Unterschiedlichkeit ihrer graduellen Ausprägung hin. Der Prophet (as) hat uns darüber belehrt, dass die Gottesliebe eine der wesentlichen Glaubensbedingungen ist.

„Keiner von euch ist ein wahrhaft Gläubiger, solange er nicht Allah und Seinen Gesandten mehr liebt, als irgendetwas anderes.“[1]

Wahrhaftig, wie der Qur’an sagt:

Sprich: "Wenn eure Väter und eure Söhne und eure Brüder und eure Frauen und eure Verwandten und das Vermögen, das ihr euch erworben habt, und der Handel, dessen Niedergang ihr fürchtet, und die Wohnstätten, die ihr liebt, euch lieber sind als Allah und Sein Gesandter und das Kämpfen für Seine Sache, dann wartet, bis Allah mit Seiner Entscheidung kommt; und Allah weist den Ungehorsamen nicht den Weg." [9:24]

Ein Mann kam zum Gesandten (as) und sagte: „Ich liebe Euch, O Gesandter Gottes.“ „So sei bereit für die Armut“, erwiderte der Prophet[2], „und ich liebe Allah.“ sprach der Mann weiter. „So sei bereit Heimsuchungen zu begegnen“, entgegnete ihm der Prophet.

Folgende Überlieferung wird von Kalif Umar erzählt:

Eines Tages sah der Prophet Musab, den Sohn Umairs mit einem Schaffell um die Hüften auf sich zukommen. „Seht“, sagte der Prophet zu seinen Gefährten, „wie Gott sein Herz erleuchtet hat, Ich sah ihn ohne Sorgen in wohlhabenden Verhältnissen mit seinen Eltern leben, doch nun hat seine Liebe zu Allah und seinem Gesandten diese Änderung an ihm bewirkt.“[3]

Der Prophet pflegte wie folgt zu beten:

„Mein Gott – gib mir Deine Liebe und die Liebe dessen, der Dich liebt und die Liebe zu jenen Taten, welche mich Deiner Liebe näher bringen und mach mir Deine Liebe süßer, als kaltes Wasser dem Dürstenden.“[4]

„Wahrlich, Allah liebt jene welche bereuen und die sich reinigen.“ [2:222][5]

„Sprich: "Wenn ihr Allah liebt, so folgt mir. Lieben wird euch Allah und euch eure Sünden vergeben; denn Allah ist Allvergebend, Barmherzig." [3:31][6]

Zuvor haben wir gesagt, dass Liebe bedeutet, sich nach dem Objekt der Liebe zu sehnen und dass Wohltaten und Schönheit, ob nun empfunden oder gegeben, unsere Herzen erfreuen. Doch wenn das Wort Liebe in Bezug auf Gott verwendet wird, trifft diese Definition nicht zu, denn in ihr liegt Begrenztheit und Unvollkommenheit.

Die Liebe Gottes zu den Menschen ist Seine Liebe zu Seinem eigenen Geschöpf.

Jemand las oben zitierten Vers aus dem Qur’an in Gegenwart von Scheich Abu Said von Muhanna, der in wie folgt interpretierte:

„Er liebt Sich Selbst, denn Er alleine existiert. Gewiss ist die Liebe von jemandem der sich selbst liebt, auf sich selbst beschränkt. Die Liebe Gottes bedeutet, dass Gott den Schleier vor Seines Dieners Herzen lüftet, sodass dieser einen Blick auf Ihn werfen möge. Es bedeutet auch, diesen näher an Ihn heranzubringen. Lasst mich das an einem Beispiel veranschaulichen.

Ein König gestattet einigen seiner Sklaven in seiner Gegenwart zu erscheinen. Nicht, weil er ihrer bedürfte, sondern weil diese Sklaven Eigenschaften aufweisen, welche würdig sind, in Gegenwart seiner Majestät in Erscheinung zu treten. Dieses Privileg, dieses Heben des Schleiers bringt uns der Empfindung der Liebe Gottes näher. Doch sollte dabei beachtet werden, dass das Erleben göttlicher Präsenz gänzlich ohne räumliche Vorstellung zu verstehen ist, denn das setzte eine Änderung Seiner (unveränderlichen, von Örtlichkeit unabhängiger Omnipräsenz, Anm. d. Übers.) voraus, welches gänzlich absurd ist.

Göttliche Nähe bedeutet den Anteil an göttlicher Tugenden durch den Abstand von fleischlicher Versuchung und meint daher die Annäherung vom Blickwinkel der Eigenschaften und nicht von dem der Räumlichkeit. Zum Beispiel, zwei Personen treffen einander, indem beide aufeinander zugehen oder einer der beiden steht und der andere bewegt sich auf ihn zu. Oder, ein Student bemüht sich den Wissensstand, „Level“ seines Professors zu erreichen, der sich gleichsam auf einer höheren Ebene befindet. Des Studenten nach oben gerichteter Reise in Richtung Wissen lässt ihn ruhelos immer weiter nach oben klettern, bis er den Glanz erblickt, welchen das Antlitz seines Meisters umgibt.

Die Natur göttlicher Nähe ähnelt der innerlichen Reise unseres Studenten; das bedeutet, je mehr ein Mensch Einsicht in die innere Natur der Dinge erlangt – und die Beherrschung seiner eigenen Leidenschaften führt zu einem Leben in Rechtmäßigkeit – umso näher kommt er seinem Herrn.

Doch es muss in Erinnerung behalten werden, dass ein Schüler seinen Meister erreichen, ja ihn sogar übertreffen, ihn überholen kann, doch was die göttliche Nähe betrifft, ist solch eine Ebenbürtigkeit ausgeschlossen.

Die Liebe Gottes bezeichnet jenes, welches das Herz Seines Dieners in solcher Weise reinigt, dass er würdig ist, in Seine heilige Gegenwart verbracht zu werden.

Man mag vielleicht fragen: „Wie können wir wissen, dass Gott eine bestimmte Person liebt?“ Meine Antwort darauf ist, dass es bestimmte Zeichen gibt, welche Zeugnis dafür ablegen.

Der Prophet (as) sagt:

„Wenn Gott Seinen Diener liebt, dann sucht er ihn heim in Trübsal und wenn Er ihn noch mehr liebt, dann trennt er dessen Beziehung zu allem.“ Jemand sagte zu Jesus (as): „Warum kaufst du dir keinen Esel für dich selbst?“ Jesus antwortete: „Mein Gott erlaubt es nicht, dass meine Aufmerksamkeit durch einen Esel gefesselt wird.“ Eine andere Überlieferung von Muhammad (as) berichtet wie folgt: „Wenn Gott einen Seiner Diener liebt, schickt Er ihm Mühsal. Wenn der Diener diese geduldig erträgt, erlangt er seines Herrn Gefallen und wenn er ihnen freudig entgegensieht, wird er unter die Erwählten Gottes gezählt. Wahrlich ist diese freudige geistige Haltung gegenüber den Schicksalsschlägen – guten oder schlechten – das größte Zeichen der Liebe. Solche Geister befinden sich in umfassender Obhut, was ihre Gedanken, Handlungen und ihren Umgang mit den Menschen betrifft. Der Schleier ist gelüftet und sie befinden sich im Zustand verhüllter Verbindung.

Was die Zeichen der menschlichen Liebe zu Gott betrifft, so sei gewiss, dass jedermann beansprucht Ihn zu lieben, doch nur wenige lieben Ihn wirklich. Hüte dich vor Selbstbetrug: verifiziere deine Behauptungen durch Einsicht in dein Inneres. Die Liebe ist wie ein tief verwurzelter Baum, dessen Äste in den höchsten Himmel reichen; seine Früchte findest du im Herzen, der Zunge und den Gliedern des Liebenden – in Wirklichkeit ist sein ganzes Selbst Zeuge der Liebe, so wie Rauch das sichere Zeichen für Feuer ist.

Lasst uns also die Zeichen aufspüren, die im wahrhaft Liebenden gefunden werden.

Der Tod ist ihm eine Freude, denn er entfernt das Hindernis der Körperlichkeit und lässt die flatternde Seele frei im Haus des Geliebten jauchzen und singen. Sufyan Thauri[7] pflegte zu sagen: „Der Zweifler verabscheut den Tod, denn ein Freund würde niemals ablehnen, den Freund zu treffen.“

Ein Sufi fragte einen Einsiedler, ob er sich den Tod ersehnte, doch der gab ihm keine Antwort. Da sagte der Sufi zu ihm: „Wärst du ein wahrer Einsiedler, liebtest du den Tod.“

Der Qur’an sagt:

Sprich: "Wenn die Wohnstätte des Jenseits bei Allah nur euch gehört, unter Ausschluss anderer Menschen, dann wünscht euch den Tod, wenn ihr wahrhaftig seid!" Doch nie werden sie ihn herbeiwünschen wegen dessen, was ihre Hände vorausgeschickt haben, und Allah kennt die Ungerechten. [2:94-95]

Der Einsiedler erwiderte: „Doch der Prophet sagt: „Wünscht euch nicht den Tod.“ „Dann wirst du leiden“, sagte der Sufi, „denn die Zufriedenheit mit dem göttlichen Beschluss ist besser, denn ihm zu entfliehen.“

An dieser Stelle mag man fragen: Kann einer ein Liebender Gottes sein, und den Tod nicht lieben? Lasst uns zuerst die Natur seiner Abneigung betrachten. Besteht sie wegen seiner Verbindung zu weltlichen Dingen, wie Frau, Kinder usw.? So ist es dennoch möglich, dass mit dieser Anhaftung, die zweifellos seiner Liebe zu Gott in die Quere kommt, ein bestimmtes Maß an Hinwendung zu Seiner Liebe bestehen kann, denn es gibt verschiedene Grade der Gottesliebe. Es mag aber auch sein, dass seine Abneigung aufgrund der nicht vorhandenen Bereitschaft für den Weg der Liebe besteht. Vielleicht wünschte er mehr zu lieben, um sich mehr reinigen zu können, geradeso wie ein Liebender vor der Ankunft des Geliebten, gerne noch mehr Zeit hätte, einen geziemenden Empfang vorzubereiten. Aus diesen Gründen kann ein Verehrer, auch wenn er den Tod nicht schätzt, immer noch Sein Liebender sein, allerdings von geringerer Art.

Er sollte sowohl innerlich, wie äußerlich das Wohlgefallen Gottes seinen eigenen Wünschen vorziehen. Denn einer, der den Befehlen seiner eigenen Begierden gehorcht, ist kein wahrhaft Liebender, denn des wahrhaft Liebenden Wille ist der Wunsch des Geliebten. Doch ist des Menschen Natur nicht so gebildet und solche Selbstlosigkeit ist sehr selten. Kranke möchten gerne geheilt werden und doch essen sie oft Dinge, welche ihrer Gesundung abträglich sind.

Gleicherweise möchte ein Mensch Gott lieben und folgt dennoch lieber seinen eigenen Eingebungen. Numan war ein Sünder, der letztlich doch die Peitsche zu spüren bekam, auch wenn er vom Propheten ständig in Schutz genommen worden war. Während er gepeitscht wurde, beschimpfte ihn jemand wegen seiner Frevelhaftigkeit. Da sagte einer: „Schimpfe ihn nicht, denn er hegt dennoch Hochachtung für Gott und Seinen Gesandten.“

Die Erfahrung lehrt uns, dass ein Liebender alles liebt, was mit dem Geliebten zu tun hat. Daher ist ein weiteres, sicheres Zeichen für die Liebe zu Gott, die Liebe zu Seinen Geschöpfen, die doch Er erschaffen hat und die von Ihm abhängig sind. Denn wer einen Dichter oder Komponisten liebt, liebt er denn nicht deren Gedichte oder Lieder?

Diese Stufe der Liebe wird erreicht, wenn des Liebenden Herz tief in Liebe versunken ist und je tiefer er darin versunken ist, desto mehr wird er von Gott aufgenommen und umso mehr wird er Gottes Schöpfung lieben, so dass selbst jenes, welches ihm Schmerz zufügt, nicht mehr von ihm ungeliebt bleibt – tatsächlich wird das Problem des Schlechten in seine Liebe zu Gott überführt.

Es mag an dieser Stelle eingewendet werden, dass daraus folgt, dass er Übeltäter und Sünder liebt. Die tiefe Einsicht in die Natur solcher Liebe aber zeigt, dass er sie als Geschöpfe Gottes liebt, doch gleichzeitig ihre Taten hasst, die im Widerspruch zum Befehl seines Geliebten stehen. Wenn dieser Punkt aus den Augen verloren wird, dann sind die Menschen gefährdet in ihrer Liebe und ihrem Hass, den sie für die Geschöpfe Gottes empfinden, fehl zu gehen. Wenn sie ihre Liebe einem Sünder gegenüber zeigen, geschehe dies aus reinem Mitleid und ohne jeden Anflug daran, die Sünde leicht zu nehmen. Gleichermaßen soll ihr Hass aus der Bewusstheit Seines strikten Gesetzes entspringen und nicht rücksichtsloser Scheinheiligkeit.

In einem der Hadith Qudsi[8] sprach Gott:

„Meine Heiligen sind jene, die wie ein Kind nach meiner Liebe weinen, die Meiner gedenken wie ein furchtloser Löwe im Antlitz von Frevel.“

Eine ehrerbietige Geisteshaltung ist ein weiteres Zeichen der Gottesliebe. Einige halten die Furcht der Liebe als entgegengesetzt, doch die Wahrheit ist, dass, genauso wie das Empfinden von Schönheit, Liebe erwirkt, das Gefühl von Ehrfurcht in uns erweckt wird, wenn wir Kenntnis von Seiner erhabenen Majestät erlangen. Liebende begegnen einander in einer, für Außenstehende unbekannten Furcht.[9]  Das ist es die Furcht unbeachtet zu bleiben, die Angst, dass der Schleier herabgelassen wird, die Furcht abgewiesen zu werden. Als die Sure Hud offenbart wurde, in welcher der Untergang von verworfenen Völkern erzählt wurde: „Hinweg mit Thamud, hinweg mit Madyan“, seufzte der Prophet und sprach: „Diese Sure hat mich zu einem alten Mann gemacht.“ Wer Seine Nähe liebt, wird tatsächlich Furcht verspüren, aus dieser Nähe wieder hinweggebracht zu werden. Es gibt auch die Angst auf einer bestimmten Stufe der Nähe stehen zu bleiben und nicht mehr näher zu kommen, denn die Stufen zu Seiner Nähe sind unendlich. Ein wahrlich Liebender versucht immer, Ihm näher und näher zu kommen. „Ein dünner Schleier bedeckt mein Herz“, sagte der Prophet, „da erbitte ich Seine Vergebung 70 mal Tag und Nacht.“[10] Das bedeutet, dass der Prophet sich ständig auf Ihn zu bewegte, auf jeder Stufe um Vergebung flehte und jede Stufe als niedriger empfunden wurde, als die nächste.

Eine weitere Furcht ist die vor zu großer Selbstsicherheit, welche die Anstrengungen ermüden lassen und den Fortschritt verhindern. Hoffnung und Furcht sollen die Führer der Liebe sein. Einige Sufis behaupten, dass ohne Furcht, der Verehrer Gottes dem Irrtum und Misserfolg verfallen ist; wer Ihn in Furcht verehrt, wird düster und wird verworfen, doch wer Ihn liebevoll verehrt in Hoffnung und Furcht, wird von Ihm angenommen und begnadet. Daher sollten Liebende Ihn fürchten und wer Ihn fürchtet, sollte Ihn lieben. Selbst überschwängliche Liebe beinhaltet eine Spur von Angst; wie Salz im Essen. Die menschliche Natur kann die weiße Glut Seiner Liebe nicht ertragen, außer sie wird durch die Furcht vor dem Herrn gemildert und besänftigt.

Diese Liebe geheim zu halten und sie der Öffentlichkeit nicht preiszugeben ist ein weiteres Zeichen Seiner Liebe. Denn die Liebe ist das Geheimnis der Liebenden. Sie sollte öffentlich nicht gezeigt oder bekundet werden. Allerdings, wenn man von der Liebe überwältigt wird, offenbart sich dieses Geheimnis ohne jedes Wollen oder Heuchelei und dafür sollte man nicht verantwortlich gemacht werden. Einige Sufis sagen: Wer häufig auf Ihn zeigt, ist fern von Ihm, denn er täuscht nur vor und protzt mit seiner Liebe zu Ihm. Dhun Nun, der Ägypter[11] besuchte einst einen seiner Sufi Brüder der in Not war und gewöhnlich sehr offen über seine Liebe sprach. „Wer die Schärfe des von Ihm verursachten Schmerzes verspürt“, sagte Dhun Nun, „ist kein wirklich Liebender.“ „Wer keine Lust in diesem Schmerz verspürt“, erwiderte der Sufi „ist kein Liebender.“ „Das ist wahr“, antwortete Dhun Nun „und doch sage ich dir, wer seine Liebe zu Ihm in die Welt hinaus posaunt, ist kein Liebender.“ Der Sufi spürte die Gewalt in Dhun Nuns Worten und fiel in Anbetung vor Gott nieder, bat um Vergebung und sprach nie wieder über seine Liebe zu Ihm.

Es mag eingeworfen werden: Göttliche Liebe ist die höchste Stufe, so - was ist schlechtes daran, sie kund zu tun? Kein Zweifel, Liebe ist gut und wenn sie aus sich selbst heraus offensichtlich wird, gibt es dagegen nichts einzuwenden. Doch jenen, welche sich dabei anstrengen, sie publik zu machen, gilt der Vorwurf. Lasset unsere Herzen sprechen, unsere Taten sie verkünden, doch nicht unsere Zunge.  Vielmehr sollte der Liebende sie stets vor dem Geliebten zum Ausdruck bringen. Das Neue Testament sagt:

„Gebt gut acht, eure Almosen nicht vor den Augen des Volkes zu geben, denn sonst habt ihr keinen Lohn vom Vater, der im Himmel ist. Daher trommelt und posaunt es nicht hinaus, wie die Heuchler es tun in den Synagogen und in den Straßen, damit sie das Lob der Menschen ernten. Wahrlich ich sage euch, sie werden ihren Lohn empfangen. So - wenn ihr Almosen spendet, lasset die linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, so dass euer Almosen verborgen bleibt und euer Vater, welcher das Verborgene kennt, wird Selbst euch in aller Öffentlichkeit vergelten.“[12]

Das Wesen, die Essenz der Religion ist die Liebe und einige deren Anzeichen wurden hier nun beschrieben.

Die Gottesliebe kann von zweierlei Art sein. Einige lieben Ihn aufgrund Seiner Wohltaten, andere aufgrund Seiner Schönheit, ohne Rücksicht auf Seine Wohltaten. Die Liebe des ersteren wächst durch die Vermehrung der Wohltaten, doch die Liebe des zweiten ist das direkte Ergebnis seiner Einsicht bezüglich Seiner vollkommenen Eigenschaften und bleibt bestehen, selbst im Leid. „Das sind die wenigen Seiner Begnadeten“, sagte Junaid von Bagdad.[13] Doch viele gibt es, die sich als Seine Liebenden ausgeben, mit vielerlei Wort auf den Lippen, doch ohne die Zeichen wahrer Liebe. Verführt von Satan, Diener ihres Gelüsts, auf der Suche nach schalem Ruhm, unverschämte Heuchler, welche ihren Herrn den Allmächtigen Schöpfer zu betrügen suchen. Sie alle sind Feinde Gottes, ob sie nun als Heilige oder Sufis gelten. Sahl von Tustar, der jedermann als „Freund“ ansprach, wurde einmal nach dem Grund danach gefragt, wie denn alle Menschen seine Freunde sein könnten. Sahl flüsterte ihm ins Ohr: „Sie sind entweder Gläubige oder Heuchler; ist er ein Gläubiger, ist er ein Freund Gottes; ist er ein Heuchler, ist er des Teufels Freund.“

Abu Turab Nakshabi verfasste einige Verse, welche die Zeichen der wahren Liebe beschreiben. Ihre Übersetzung lautet:

Zeige deine Liebe nicht und hör auf mich

Dies sind die Zeichen seiner Liebe – dir mache ich sie öffentlich:

Süß ist ihm die Bitterkeit von Leid und Schmerz,

Sein Glück ist - alles kommt von Ihm - das weiß sein Herz,

Lob und Tadel sind ihm einerlei

Für des Geliebten Wunsch hält er sich frei,

Sein liebend Herz glüht heiß, selbst die Sonne erreicht dies Brennen nicht,

Sein freudig Antlitz wird umstrahlt von sel’gem Licht.

Der Lieb’ Geheimnis wahrt er fest mit aller Kraft

Und andere Gedanken, als die vom Liebsten haben über ihn gar keine Macht.

Yahya bin Maaz Razi[14] fügte einige Zeilen hinzu:

„Weitere Zeichen sind – wie ein Taucher an des Flusses Bank gibt er stets acht

Er weint und vergießt der Liebe willen Tränen in der Nacht in seinem dunklen Zimmer

Und es scheint als kämpfte er um seine Liebe immer.

Sein ganzes Selbst hat an die Liebe er verschenkt

Ruhig und gelassen, in glücklicher Zufriedenheit lebt er in ihr versenkt.“

 

[1] Bukhari und Muslim

[2] Tirmidhi

[3] Abu Naim

[4] Tirmidhi

[5] Qur’an 2:222 Reue ist der erste Schritt in Richtung Gott. Siehe auch: im NT Matheus 3:2

[6] Qur’an 3:30 Die Gebote Gottes einzuhalten, welche durch Seine Heiligen Propheten offenbart wurden, bedeutet Gott zu lieben. Siehe auch NT Johannes 15:10 „Wenn ihr meine Gebote einhaltet, seid ihr in meiner Liebe geborgen, so wie ich die Gebote des Vaters befolge und in Seiner Liebe geborgen bin.“

[7] Ein bekannter Sufi; gest. 840 in Bagdad

[8] Hadith Qudsi ist eine Überlieferung, in welcher berichtet wird, was Gott selbst sprach.

[9] Tennyson: „Lass das Wissen wachsen mehr und mehr

Und doch mehr Verehrung in uns wohnen

Denn Geist und Seele stimmen überein so sehr

Ungehörte Musik gemeinsam lassen sie ertönen

Und weiter noch, Tölpel sind wir und gering

Wir spotten Dich, wenn vor Dir wir keine Angst empfinden

So hilf uns Toren -

Hilf der Welt Dein hohes Licht zu tragen 

[10] Bukhari

[11] Er wird der „Vater der Sufis“ genannt. Er gründete einen Orden in Ägypten und starb 860.

[12] Mathäus, VI 17 1-4; 16-18

[13] Ein berühmter Sufi, Syed Uttaifa (Ordensvorsteher) genannt. Er starb in Bagdad 911 a.D.

[14] Ein Theologe und Sufi aus Rai in Persien. Er starb 871.