Hadith und Überlieferungskette: Die soziale und sprachliche Struktur der Isnad

Das über 1400-jährige soziale Netzwerk der Hadith-Wissenschaftler ist im traditionellen Sinne als das Isnad-System bekannt; es umfasst unzählige Wissenschaftler der ganzen islamischen Welt. Die intellektuelle Beschäftigung dieser Wissenschaftler wird Hadithwissenschaft(en) genannt. Wissenschaft (al-ilm) bezeichnet hier den systematischen Wissenserwerb. Die Hadithwissenschaft, ein im akademischen Sinne fest in der islamischen Kultur und Gesellschaft verankertes Phänomen, ist im Wesentlichen eine mündliche Disziplin, die sich mit den Überlieferungen über den Propheten beschäftigt. Wenn der Koran göttliches Wissen beinhaltet, dann ist die Sunna des Propheten dessen Kern und lebendige/gelebte Form. Der Islam verfügt über zwei grundlegende heilige Texte oder Überlieferungen, die in einer organischen Beziehung zueinanderstehen und auf deren Grundlage vielfältige Interpretationen, Traditionen und Metaüberlieferungen entstanden sind.

 

Ein Überlieferungssystem besteht aus Überlieferer, Zuhörer, Überlieferungstext und Metaüberlieferungen; Überlieferer und Hörer bilden ein soziales Netzwerk. Der Überlieferungsprozess verbindet diese Elemente. Diese Elemente entsprechen im Kontext der Hadithüberlieferung der Reihe nach dem Hadith-Lehrer, Hadith-Schüler, Hadith-Text, der Meta-Überlieferung des Hadith und dem Isnad-System.

Im Folgenden werden diese Elemente und ihre Beziehungen zueinander im Kontext des Hadith-Überlieferungs(Isnad)-Systems diskutiert.

Struktur der rückläufigen Erzählung

“Die mir zugehört haben, sollen meine Worte an andere übertragen; diese sollen es wiederum auch an andere übertragen; vielleicht werden die Letzten meine Worte besser verstehen, als diejenigen, die meine Worte unmittelbar ohne einen Vermittler gehört haben.”

Mit diesen Worten hatte der Prophet seine Abschiedspredigt, die er mitten in der arabischen Wüste, in der Nähe Mekkas auf seinem Kamel hielt, beendet. Die Prophetengefährten hielten sich, wie seit Anbeginn der Offenbarung, an diese oft wiederholte Anweisung des Propheten und verwahrten die Worte, die sie gehört und die Taten, die sie gesehen hatten, mit größter Sorgfalt in ihrem Gedächtnis, um diese an ihre Familien, Freunde, Stämme und vor allem an die zukünftigen Generationen weiterzuleiten. Sie konnten nicht ahnen, dass ihre Erzählungen durch die nachfolgenden Überlieferer (sog. Rawi) vom Westen bis in den Osten weiter vermittelt und verbreitet wurden und dadurch ein literarisch wertvolles sozial-mündliches Meisterwerk, das Hadith-Überlieferungsnetzwerk, entstand.

Das Hadith hat, als die historisch rückläufige (rückbezügliche/reflexive) Erzählung der Ereignisse, über die der Prophet gesprochen oder geschwiegen hat, eine starke Bewegung in Richtung der Entstehung des Überlieferungsnetzwerks gestartet. Die Hadithüberlieferer, die den aufeinanderfolgenden Generationen angehörten, haben, um erfundene Hadith zu entlarven, versucht, die Überlieferer so gut wie möglich kennenzulernen. Die Überlieferungskette wurde “Isnad” genannt, was wörtlich “stützen“ oder „unterstützen“ bedeutet. Die Überlieferungskette wurde einige Jahrhunderte nach dem Tode des Propheten immer länger. Durch diesen Prozess entstanden die zwei Elemente des Hadith, die gemeinsam ein neues Überlieferungsmodell darstellen (Überliefererkette=Sanad (pl. Isnad) und Überlieferungstext=Riwaya (eigentlicher Text).

Die rückläufige Erzählung spielte bei der Entstehung und Nachhaltigkeit des Netzwerks eine fundamentale Rolle und verbindet somit die Generationen der Überlieferer miteinander. Ohne diesen reflexiven Charakter der Sprache wäre die Verbindung vieler Überlieferer innerhalb eines sozialen Netzwerkes gar nicht möglich.

Mit dem Überlieferungsprotokoll oder der indirekten Rede beschäftigten sich die Hadith-Überlieferer aufgrund der großen Bedeutung für die Authentizität der Hadith intensiv. Es gibt viele Ausdrücke, mit denen man die Art der Überlieferung von einem Gelehrten an einen Anderen definieren kann. Jeder dieser Ausdrücke drückt eine bestimmte Art oder Perspektive des Verhältnisses zwischen Sprecher und Hörer aus. Beispielsweise ist die Formel “ich habe von a gehört” nicht gleichbedeutend mit der einfachen Formel “von a”. Erstere drückt ein räumliches und zeitliches Zusammensein aus, wobei in der Letzteren alles unklar bleibt. In ähnlicher Weise ist “,a’ hat mir gesagt” nicht identisch mit dem Ausdruck “,a‘ hat gesagt”. Im Ersteren ist von einem unmittelbaren und persönlichen Kontakt die Rede, wobei im Letzteren das Verhältnis nicht klar ist.

Aber die Überlieferer bemühten sich nicht wirklich, die indirekte Wiedergabe von Äußerungen zu systematisieren und zu klassifizieren. Die Überliefererkette (Isnad) und der Hadithtext (Riwaya) wurden jedoch nach den Begriffen der Art der indirekten Überlieferung klassifiziert. Die von Bukhari aufgestellten Standardregeln für die Klassifizierung der Hadith waren im Vergleich mit anderen Rawi sehr kompliziert.

Inhalt, Form und Netzwerkverteilung der Hadith

Wie sind Inhalt und Form der Überlieferung mit der Verbreitung des Überlieferungsnetzwerkes verknüpft? Kurze Sprüche, Lehrsätze oder Erzählungen sind im Gegensatz zu langen sachlichen Texten oder Rechtstexten, die Befehle und Verbote beinhalten, wesentlich einfacher zu vermitteln. Das Hadith wird in Form eines kurzen Auszugs aus dem Leben des Propheten wiedergegeben, ohne dabei einen Kontext oder Anlass für die Erzählung zu nennen. Welches Ziel hatten die Hadithgelehrten vor Augen, als sie diese Form der Erzählung kreierten? Welche Bedeutung hat die Überlieferungsform der Hadith? Insbesondere diese spezielle Überlieferungsform stellt ein Unterscheidungsmerkmal für die Hadithgelehrten gegenüber Wissenschaftler, welche andere Überlieferungsformen verwenden, dar, und verleiht ihnen damit eine eigenständige Identität. Die Verwendung einer unterschiedlichen, unregelmäßigen und inkonsequenten Form der Überlieferung unterscheidet die Hadithwissenschaftler von anderen Wissenschaftlern, wie unter anderem Geschichtenerzähler (Qussas), Historiker und Biografen, die sich ebenfalls mit historischen Überlieferungen beschäftigen, aber ihre gesammelten Überlieferungen nach einer bestimmten konsistenten Systematik und Logik chronologisch darstellen. Diese Art der Überlieferung war für die Öffentlichkeit, welche die Überlieferungen des Propheten nach wie vor sehr schätzten, im Gegensatz zu einer sachlichen und empirischen Form der Überlieferung der Rawi, viel interessanter. So sind der Unmut einiger Hadithgelehrten gegenüber Geschichtenerzählern und Historiker und die reaktionäre Haltung ebendieser bezüglich der Geschichtsschreibung ein sehr bekanntes Phänomen der islamischen Geistesgeschichte.

Die chronologische Darstellung der Ereignisse war niemals das Hauptziel der Hadithgelehrten. Die lineare, chronologische Zeitabfolge war für die Überlieferer der ersten Generationen kein unzertrennbarer Bestandteil der Ereignisse; denn dieser Begriff fand erst nach der Einführung des Hidschri-Kalenders unter dem Kalifen Omar Eingang in die arabische Kultur.

Des Weiteren ist hier in Bezug auf die Hadith eine weitere überaus wichtige pragmatische Besorgnis zu sehen. Von der chronologischen Ordnung unabhängige Überlieferungen besitzen eine mnemotechnische Form (Gedächtnisstütze) und lassen sich deshalb viel einfacher einprägen und verbreiten; dadurch sind sie kompatibler mit dem mündlichen Funktionieren des Gedächtnisses. Das heißt, je mehr ein Text zerlegt wird, desto leichter kann er verbreitet werden. Meines Erachtens liegt einer der Gründe für die weite Verbreitung der Hadith darin, dass sie als lose Erzählungen überliefert wurden. Hätte man die Hadith in einer langen, gesamtheitlichen und einzigen Textform überliefert, so hätten diese Überlieferungen nur eine kleine Gruppe von Intellektuellen erreicht, die dazu in der Lage gewesen wären, diese langen Texte zu bearbeiten. Das am weitesten verbreitete Hadith wird im Allgemeinen “mutawatir” genannt. Wenn dies stimmt, dann kann man annehmen, dass die Rawi mit leicht zu merkenden Überlieferungen (also Hadith, welche Gedächtnisstützen beinhalten), auch dementsprechend bekannter sein müssen.  

Die Entstehung des Isnad-Systems

Die Frage nach den Gründen für die Entstehung des Hadith-Überlieferungsnetzwerks sollte aus sozialen und kulturellen Gesichtspunkten heraus analysiert werden. Leider ist das bis jetzt noch nicht geschehen. Mit unserem momentanen Wissensstand ist es ohnehin nicht möglich, diese Frage vollkommen überzeugend zu beantworten. Schließlich warten noch tausende in der gesamten Welt zerstreute Handschriften, die neues Material zu diesem Thema beinhalten, darauf, editiert und veröffentlicht zu werden. Dennoch sollen hier einige Gründe, die bei der Entstehung dieses Netzwerkes eine Rolle gespielt haben könnten, aufgezählt werden:

  • Die ständigen Anweisungen des Propheten an seine Gefährten, seine Worte an andere weiterzugeben.
  • Die Bemühungen der Gläubigen, die Lehren des Propheten zu lernen.
  • Die Bemühung des Staates und der Rechtsgelehrten, Hadith als Quellenmaterial für die Rechtsprechung zu sammeln und zu schützen.
  • Die hohe soziale Stellung, welche die Hadithgelehrten innerhalb der Gesellschaft genossen/genießen.
  • Die Rivalitäten zwischen den Rechtsschulen, welche die eigenen Ansichten durch Überlieferungen vom Propheten zu bekräftigen und diejenigen der “Gegner” zu entkräften versuchen.

Die historischen Wurzeln des Netzwerks der Hadithüberlieferung lassen sich bis auf die vorislamische arabische Kultur zurückführen. Die schriftlose Kultur der vorislamischen Zeit erforderte, dass die lese- und schreibunkundigen Araber sowohl im Alltag als auch bei kulturellen Angelegenheiten stets ihr Gedächtnis verwenden mussten. Für die wenigen gebildeten Menschen war es eine kulturelle Selbstverständlichkeit, Gedichte oder die Abstammungsfolge der Stämme, Familien oder von angesehenen Personen auswendig zu lernen. Mit dem Aufkommen des Islam hatte das Auswendiglernen eine neue Dimension bekommen, denn fortan begannen die Araber auch, den Koran und die Worte des Propheten auswendig zu lernen.

Nach dem Tode des Propheten war es wichtig, die Überlieferer der einzelnen Berichte über den Propheten zu kennen; deswegen lernte man nun auch die einzelnen Rawi und deren Verhältnis untereinander auswendig. Die Kenntnis über die Beziehung zwischen den einzelnen Überlieferern ähnelt in vieler Hinsicht den Abstammungsfolgen der Stämme und Familien, welche man in der arabischen Kultur in der vorislamischen Zeit auswendig zu lernen pflegte. 

Nach den momentanen historischen Befunden kann man keinen exakten Zeitpunkt für die Entstehung des Netzwerks der Hadithüberlieferung und der Hadithwissenschaften, die sich in den ersten beiden Jahrhunderten der islamischen Zeitrechnung entwickelt haben, festlegen. Das Netzwerk der Hadithüberlieferung entwickelte sich nach einer kurzen Zeit im Rahmen der Bemühungen, die Gesamtheit der authentischen Überlieferungen über den Propheten zu bewahren. Die erfundenen/gefälschten Hadith (Al-Hadith al-mawdu), die aus politischen Gründen, durch Rivalitäten unter den Rechtsschulen oder ganz einfach aus spekulativen und legendenhaften Motiven erdichtet wurden, waren für die neu konvertierten und für den Staat keineswegs von Nutzen. Der Prophet vertraute den Gefährten (Sahaba), dass sie seine Äußerungen vor jeglicher Verfälschung schützen würden. So war es auch für die neu zum Islam konvertierten Menschen viel leichter, die authentischen Lehren des Propheten zu lernen. Darüber hinaus war es für den Staat von großer Bedeutung eine der Hauptquellen des Islamischen Rechts zu bewahren. Diese komplexen Bemühungen führten dazu, dass aus der einfachen Überlieferungskunst eine aus mehreren Zweigen bestehende Hadithwissenschaft und ein seit 1400 Jahren sich ständig weiter verbreitendes Netzwerk der Hadithüberlieferung entstanden ist.

Die Gesamtheit der Einfälle/Erfindungen der sich aufeinanderfolgenden Gelehrten entstanden an verschiedenen Orten, was wiederum die Entwicklung des sozialen Charakters der Hadithüberlieferung unterstützt hat. Die Muslime erfanden und entwickelten eine spezielle Tauscheinheit: “das Hadith”; eine spezielle soziale Beziehungsform: “Riwaya (Überlieferung)” von Hadith; eine spezielle Identität: “Muhaddis (Hadith-Spezialist)”; ein spezielles Netzwerk: “Isnad”, was wörtlich Stütze bedeutet und die Informationen bis zu ihrem Ursprung zurückführt; sie haben darüber hinaus auch für andere Formen der Überlieferungen spezielle Kategorien erfunden und entwickelt. Damit das einwandfreie Funktionieren des Netzwerkes gewährleistet werden konnte, wurden des Weiteren auch formelle Regeln, die “Usul al-Hadith (Hadithmethodologie)” aufgestellt. Anhand dieser Regeln wurden die Kriterien für die Aufnahme eines Hadith in die Überlieferungskette oder für dessen Ausschluss aus eben dieser Kette festgelegt. Dabei wurde das wissenschaftliche Talent der Überlieferer, die moralischen Maßstäbe ihrer Handlungen, die gegenseitigen Beziehungen zueinander und die Authentizität der jeweiligen Hadith überprüft. Im Laufe der Zeit entstanden verschiedene Kategorien mit Bezeichnungen wie unter anderem “Hafiz“ (kompetent), “bekannt”, “zweideutig”, “vertrauenswürdig” oder “Lügner”, mithilfe derer die Überlieferer nach ihren persönlichen und wissenschaftlichen Eigenschaften klassifiziert wurden und die dazu dienten, die Verbreitung authentischer Hadith zu gewährleisten.

Aber trotz all dieser Kontrollmechanismen wurden immer wieder Hadith erfunden oder verfälscht; deswegen übernahmen die treuen Nachfolger des Propheten die Verantwortung, authentische Überlieferungen zu überwachen und zu bewahren. Die Hadithgelehrten haben sich mehr als alle anderen Mitglieder der islamischen Gesellschaft dieser Aufgabe gewidmet und daraus einen Beruf entwickelt.

Methodologie der Hadithkritik: Usûl al-Hadith

Parallel zu der Sammlung der Hadith in einzelnen Kompendien entstand eine neue Literaturgattung: Die Hadithkritik. Die Hadithgelehrten haben diese Gattung mit den Namen Hadithwissenschaft(en), Wissenschaft der Hadithterminologie oder Methodologie der Hadithkritik bezeichnet. In den darauffolgenden Jahrhunderten hat sich diese Literaturgattung schrittweise entwickelt.

Die ersten Hadithgelehrten hatten die Regeln und Kriterien für ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten sehr genau umrissen; dennoch wurden manche Begriffe verschiedenartig verwendet, sodass deren Richtlinien später in verschiedenen Werken systematisiert wurden. Zu den meist geschätzten und epochalen Werken gehören al-Schafii’s Werk al-Risala, die Einführung von al-Muslim’s Werk as-Sahih al-Muslim und al-Tirmidhi’s Werk Dschami. Die Richtlinien und Kriterien der früheren Hadithgelehrten, wie etwa al-Bukhari, hat man erst durch die sorgfältigen Forschungen späterer Gelehrten darüber, welche Überlieferer (Rawi) oder welche Überliefererkette (isnad) von ihnen akzeptiert oder abgelehnt haben, herausbekommen.

Ramahurmuzi (gest. 360) hat eines der ersten umfassenden Werke zu diesem Thema geschrieben. Der nächste wichtige Beitrag war das Werk Marifat Ulumi’l-Hadith von al-Hakim (gest. 405), in dem er fünfzig verschiedene Haditharten definierte. Aber manche Themen hat er in seinem Werk nicht behandelt, vorauf Abu Nuaym al-Isbahani (gest. 430) die fehlenden Punkte in einer weiteren Studie ergänzte. Danach sollte das einflussreiche Werk al-Kifaya fi ilmi’r-Riwaya, über das Lehren und Lernen von Hatib al-Bagdadi (gest. 463) erwähnt werden, denn die späteren Gelehrten haben dieses Werk rege benutzt.

Neben den wichtigen Gelehrten Qadi Iyaz al-Yahschubi (gest. 544) und Abu Hafs al-Mayandschi (gest. 580) müssen Osman b. As-Salah’s Werk (gest. 643) Ulum al-Hadith, das auch unter dem Namen Muqaddimatu Ibnu’s-Salah bekannt wurde, genannt werden, das er während seiner Lehrtätigkeit an vielen Hadith-Schulen in Syrien verfasst hat. Dieses Werk hat ein sehr kompaktes und kleines Format, aber da es die Themen in einem besonders hervorragenden Stil beinahe vollständig erfasst, wurde es seit Jahrhunderten bis heute für Tausende von Hadithstudenten und Lehrern eines der Standardhandbücher in diesem Bereich.

Im Folgenden sind einige spätere Werke aufgelistet, die sich an Ibnu’s-Salah’s Werk orientieren: an-Nawawi (gest. 676) hat sein Werk Muqaddima unter dem Namen al-Irschad zusammengefasst, welches er wiederum in seinem Werk Taqrib zusammengefasst hat; as-Suyuti (gest. 911) hat für dieses letztere Werk einen wertvollen Kommentar mit dem Titel Tadribu’r-Rawi verfasst; Ibn Kasir’s (gest. 774) Ihtisar-i Ulumi’l-Hadith; at-Tibi’s (gest. 743) al-Hulasa und al-Bulki’s (gest. 805) Mahasinu’l-Istilah. All diese Werke sind im Grunde genommen eine Zusammenfassung von Ibn as-Salah’s Muqaddima.

Az-Zarkaschi’s (gest. 794) an-Nukat, al-Iraki’s (gest. 806) at-Taqyid wa’l-Izah und Ibn Hadschar al-Askalani’s (gest. 852) an-Nukat sind Subkommentare zu Ibn as-Salah’s Werk. Ibn as-Salah’s Muqaddima wurde außerdem von al-Iraqi in seinem Werk Alfiyyatu’l-Hadith in einer langen Gedichtsform neu verfasst, welches wiederum Gegenstand mehrerer Kommentare war. Al-Iraqi hat sein eigenes Werk zwei Mal, jeweils einmal kurz und einmal lang, kommentiert; darüber hinaus sind as-Sahawi’s (gest. 903) Fathu’l-Mugis, as-Suyuti’s Katru’d-Durar nur einige von mehreren Kommentaren.

Hadithkritik (Usul al-Hadith) wird anhand bestimmter Kriterien durchgeführt. Diese Kriterien sind in den klassischen Werken zerstreut aufzufinden. Hier sind diese Kriterien in einer bestimmten Systematik und für den heutigen Leser verständlichen Form zusammengestellt:

Das erste Kriterium der Hadithkritik bezieht sich auf die Anzahl der Glieder der Überlieferungskette bis zum Ursprung der Hadith: Je weniger Glieder die Kette hat, desto vertrauenswürdiger ist die Kette. Das kann als erste Faustregel bei der Kritik der Überlieferungskette festgehalten werden. Es ist jedem ersichtlich, dass mit jedem zusätzlichen Glied in der Kette die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers steigt und dadurch die Authentizität und Vertrauenswürdigkeit des Hadith sinkt. Die Kürze oder Länge einer Kette kann erst im Verhältnis zu den anderen Ketten bestimmt werden. Wenn zwei Überlieferungsketten verglichen werden, wird die Kette mit wenigen Gliedern als die “hohe, erhabene (ali)” Kette und diejenige mit mehr Gliedern als die “niedrige (nazil)” Kette bezeichnet.

Vor allem bevor die allgemein anerkannten Hadithkompendien zusammengestellt waren, wurden die Hadith anhand der Länge der Überlieferungsketten miteinander verglichen und analysiert. Besonders talentierte Studenten sind lange Strecken gereist, um von angesehenen Lehrern unmittelbar die Hadith zu hören, damit die Überlieferungskette möglichst kurz blieb. Das Interesse an kurzen Überlieferungsketten hat jedoch mit der Etablierung der allgemein anerkannten Hadithkompendien deutlich nachgelassen. Heute bevorzugen die Rechtsgelehrten die kurzen Überlieferungsketten nur dann, wenn es um die Aufhebung von Widersprüchen geht.

Das zweite Kriterium der Hadithkritik ist die Anzahl der Parallelüberlieferungen, die sich gegenseitig stützen. Kurz ausgedrückt: Je mehr Parallelüberlieferungsketten eine Überlieferung hat, desto authentischer und glaubwürdiger ist sie. Dieser Satz lässt sich als die zweite Faustregel der Hadithkritik festhalten. Des Weiteren ist es auch ersichtlich, dass ein Hadith mit mehreren Parallelüberlieferungsketten für den Hörer viel verlässlicher ist als ein Hadith mit weniger Ketten. Die Rechtsgelehrten bevorzugen deswegen die Hadith, die mehr Parallelketten aufweisen, da sie verlässlicher sind.

Das dritte Kriterium der Hadithkritik bezieht sich auf die Kontinuität der Überlieferungskette: Je weniger indirekte Glieder die Kette enthält, desto stärker ist die Kette. Anders ausgedrückt, je weniger eine Kette unterbrochen ist, desto besser ist sie oder je vollständiger die einzelnen Glieder aufgezeichnet werden, desto authentischer ist die Kette. Bei einer indirekten Erzählung wird zuerst untersucht, ob die Kette ununterbrochen zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden kann. Jedes Glied und jede Beziehung unter den Überlieferern muss einzeln geprüft werden. Jedoch ist es nicht jedes Mal möglich, genaue Informationen über die einzelnen Glieder zu erhalten. In einer solchen Situation muss man sich am bestmöglichen Ergebnis orientieren. Aus dieser Hinsicht hat jede Kette nur eine relative Authentizität, wenn man davon ausgeht, dass die am wenigsten unterbrochene Kette die größte Authentizität hat. Die Gesamttypologie beinhaltet schließlich folgende Kategorien: “muttasil (ununterbrochen)” eine ununterbrochene Überlieferungskette; “muallaq (hängend)” eine Kette, in der ein oder mehrere Überlieferer weggelassen wurden; “munqatiʿ (unterbrochen)” eine Kette, in der mehrere Überlieferer fehlen; “mursal (gesendet)” eine Kette, in der die Generation der Sahaba (Gefährten) übersprungen wurde.

Das vierte Kriterium der Hadithkritik bezieht sich auf die Eigenschaften der Überlieferer. Die vierte Faustregel kann dementsprechend folgendermaßen formuliert werden: Je vertrauenswürdiger die Überlieferer einer Kette sind, desto authentischer ist die Kette. Auch diese Faustregel ist uns aus unserem Alltag vertraut. Nachrichten, die durch angesehene und bekannte Menschen vermittelt werden, sind für uns verlässlich. Im Gegenzug schenken wir unbekannten Personen, die wir nicht kennen, nicht das gleiche Vertrauen. Wenn diese Faustregel systematisch zur Anwendung kommt, entstehen drei Überlieferer-Typen:

  1. Ma‘ruf (bekannt) – eine Kette, in der alle Überlieferer bekannt sind;
  2. Schadh (regelwidrig) – eine Kette mit einigen unbekannten Überlieferern;
  3. Mudallas (gefälscht) – eine Kette, in der bestimmte Überlieferer bewusst übersprungen wurden, um damit den Anschein zu erwecken, das Hadith sei nur durch glaubwürdige Gewährsmänner überliefert worden.

Das fünfte Kriterium bezieht sich auf die Art der Überlieferung und die Beziehung oder Verbindung zwischen Schüler und Lehrer. Damit die Hadithkritiker über die Vertrauenswürdigkeit der Überlieferer urteilen können, untersuchen sie den Grad der Verbindung zwischen den Überlieferern. Das wiederum wird mithilfe der Analyse der Erzählform bestimmt: Je plausibler die Erzählform ist, desto vertrauenswürdiger ist die Kette. Die Hadithgelehrten haben acht Erzähl-Kategorien zusammengestellt, in denen das Lehrer-Schüler Verhältnis festgehalten wird:

1. sama und imla: Mündlicher Vortrag des Lehrers; mit oder ohne Diktieren.

2. qiraa und arz: Der Schüler liest dem Lehrer das, was dieser ihm überliefert hat, vor.

3. idschaza: Der Schüler erhält die Erlaubnis von seinem Lehrer, das Gelernte weiter zu überliefern.

4. al-munawala: Der Schüler hat die Niederschriften eines Lehrers mit der Absicht erhalten, sie weiter zu lehren.

5. mukataba: Durch Korrespondenz über Hadith von einem Lehrer zu erfahren.

6. ilam: Der Lehrer überliefert dem Schüler ohne Erlaubnis auf weitere Überlieferung.

7. wasijjah: Durch den letzten Willen des sterbenden Lehrers seine Niederschriften erhalten.

8. widschada: Der Schüler findet das Buch eines Lehrers.

Das sechste Kriterium der Hadithkritik bezieht sich auf die Feststellung der persönlichen und wissenschaftlichen Eignung der Überlieferer in Bezug auf ihre Auffassungsgabe und Gedächtnisstärke (zabt). Somit ergibt sich die nächste Faustregel, die besagt, dass je besser das Erinnerungsvermögen des Überlieferers ist, desto sicherer ist die Kette. Nach diesem Prinzip müssten alle Überlieferer in der Kette ein starkes Gedächtnis vorweisen können. Deswegen sollte sichergestellt werden, dass die Überlieferer nicht mit den folgenden fünf Mängeln ausgestattet sind: Su-i hifz, mangelndes Gedächtnis; Kasrat al-galat – übertrieben viele Fehler; Wahm – übertriebener Zweifel, Fart al-gafla – Zerstreutheit; Muhalafat ath-thikat – mit den anerkannten Autoritäten in Widerspruch stehen. Wenn ein Überlieferer einen dieser Mängel besitzt, kann er nicht mehr als vertrauenswürdig eingestuft werden.

Das siebte Kriterium, worauf sich die Hadithkritiker konzentriert haben, zielt auf die Prüfung der charakterlichen und moralischen Eigenschaften der Überlieferer. Je reiner der Charakter der Überlieferer ist, desto stärker ist die Kette; das ist die siebte Faustregel der Hadithkritik. Der Charakter eines Überlieferers muss frei von diesen fünf Mängeln sein: Kidhb – ein Hadith erfinden; ittiham bi’l-kidhb – im Alltag viel lügen; fisq – gegen ethische und religiöse Prinzipien verstoßen; bid’at - Häresie; Dschahl – Zweideutigkeit. Ein Überlieferer mit einem dieser Mängel ist nicht akzeptabel und wird deshalb aus diesem Beruf ausgeschlossen.

Um diese Faustregeln auch anwendbar zu machen, entstand ein sehr verzwicktes, mehrdimensionales Bewertungssystem. Überlieferungen, die manche gut fanden, wurden von anderen abgelehnt. Die Hadith wurden hinsichtlich ihrer Authentizität wie folgt klassifiziert:

  • Sahih – authentisch, gesund;
  • Hasan – gut, akzeptabel;
  • Daif – schwach;
  • Mawdu – erfunden;

Diese Klassifikation ist nicht allgemein verbindlich, man kann auch andere feinere Unterteilungen vornehmen.

Die Kritiker haben sich vorwiegend auf die Überlieferungsart und nicht auf den Inhalt der Hadith konzentriert. Diese Haltung wurde von denjenigen, die mehr Wert auf die Textkritik legen, kritisiert. Es ist allgemein anerkannt, dass der Wert einer Überlieferungskette von ihrem schwächsten Glied abhängt. Betreffend des Inhalts der Hadith wird allgemein akzeptiert, dass die Einsicht, die Überlieferungen stehen mit den historischen Ereignissen in Widerspruch, ausreicht, um die Hadith als erfundene Hadith kategorisieren zu können. Falls keine Textkritik betrieben wird, muss sich die Hadithkritik zwangsläufig sehr straff auf den Überlieferungsprozess, auf die Überlieferer und deren Beziehungen untereinander konzentrieren. 

Die Klassifikation der Überlieferungsarten hat einige praktische Nutzen; denn die islamische Dogmatik verwendet nur die in jeder Hinsicht authentischen Hadith (mutawatir) als Beweisquelle; das Islamische Recht hingegen verwendet neben den sahih-Hadith auch die hasan-Hadith als Rechtsquelle; manche Rechtsschulen, Geschichtswissenschaften und die Mystik verwenden sogar die schwachen Hadith. Ein rechtliches oder theologisches Grundprinzip kann, auch wenn es verschiedenartig definiert werden kann, nur aus einem sahih-Hadith extrahiert werden. Deswegen kann man sagen, dass jede Wissenschaftsdisziplin (Hadith, Fiqh, Kalam, Tasawwuf und Geschichte) ihre eigenen Methoden und Metaüberlieferungen hinsichtlich des Gebrauchs von Hadith entwickelt hat.

Recep Şentürk: Toplumsal Hafıza-Hadis Rivayet Ağı 610-1505, çev. Mehmet Fatih Serenli, İstanbul 2004.

derletzteprophet.info/hadith-und-uberlieferungskette-die-soziale-und-sprachliche-struktur-der-isnad (05.10.13)