Rechtes Benehmen (Adab) beim Geben der Zakat

Beim Geben von Zakât und Sadaqa (freiwilligen Spenden) ist es von größter Wichtigkeit, sich korrekt zu verhalten. Der Gebende sollte sich bei dem Nehmenden bedanken, denn durch ihn kann er seine Verpflichtung erfüllen und den gewaltigen Lohn erlangen, den Allah den Gebenden verspricht. Außerdem wird er durch seine Gabe noch vor Unheil, Schaden und vielerlei Arten von Unannehmlichkeiten bewahrt.

Im heiligen Qur’ân wird uns das rechte Benehmen beim Geben folgendermaßen beschrieben:

„O ihr Gläubigen, macht nicht eure Wohltätigkeit durch Vorhaltungen und verletzende Worte zunichte, wie der, der seinen Besitz ausgibt, um von den Leuten gesehen zu werden und nicht an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag! Das Gleichnis dessen ist wie das Gleichnis eines Felsens mit Erde darauf, und es trifft ihn ein Platzregen und lässt ihn hart. Diese erreichen nichts mit ihrem Verdienst, denn Allah leitet die ungläubigen Leute nicht.“ (2:264)

Über die Empfehlung, wohltätige Spenden zu geben hinaus, lehrt dieser Vers in deutlichen Worten, wie vorsichtig wir beim Geben sein müssen, um nicht unsere guten Taten zunichte zu machen.

Das bedeutet mit anderen Worten, dass unsere Spenden, wenn sie mit herablassendem Verhalten, unfreundlichen Worten oder mit erniedrigendem Gebaren verbunden sind, in der Sicht Allahs keinen Wert besitzen. Wenn man jemandem hilft, sollte dies ohne Erwartung von Gegenleistungen und alleine um Allahs willen geschehen.

Abû Dharr berichtete – möge Allah mit ihm zufrieden sein – dass der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – sagte:

„Es gibt drei (Arten von) Personen, zu denen Allah am Jüngsten Tage nicht sprechen, noch auf sie schauen oder sie freisprechen wird und denen eine schmerzliche Strafe bestimmt ist.”

Und er wiederholte diese Worte dreimal.

Da sagte Abû Dharr: ‚Sie haben verspielt und verloren, wer sind diese Leute, o Gesandter Allahs?

Daraufhin sagte der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden:

‚Derjenige, der (aus Stolz) sein unteres Gewand auf den Boden schleifen lässt, derjenige der erwartet, für seine guten Taten gelobt zu werden und derjenige, der beim Verkauf von Waren falsche Eide schwört.’“

Dies zeigt deutlich, dass diejenigen, die mit ihrer Wohltätigkeit Verpflichtungen für die Empfänger verbinden oder deren Gefühle verletzen, mit der Strafe Allahs rechnen müssen. Derartiges schlechtes Verhalten beim Geben von Spenden gilt als große Sünde. Allah schaut auf die Herzen Seiner Diener und bewertet sie dementsprechend.

Und Meister Jalâluddîn Rûmî sagt dazu:

„Gib deine Existenz und deinen Wohlstand hin in Werken der Wohltägigkeit, um damit die Herzen der Menschen zu erwerben. Die Bittgebete ihrer Herzen für dich werden dir dein Grab mit göttlichem Licht erhellen.“

Er sieht in den Armen die Gelegenheit für die Reichen, ihrer Dankbarkeit Allah gegenüber Ausdruck zu verleihen. So wie Allah den Wohlhabenden von Seiner Gnadenfülle gewährt hat, können sie die Gnadenfülle Allahs für die Armen widerspiegeln. Deshalb, sagt Rûmî, sollten sie sich hüten, deren Herzen zu verletzen:

„Der Bettler ist der Spiegel, in dem die Gnadenfülle sich wiederspiegelt, drum gib stets acht, kein Wort zu benutzen, das sein Herz brechen könnte!

Die Gnadenfülle Allahs spiegelt sich wider in den Armen. Sie wenden ihre Gesichter denen zu, die es lieben, wohltätig zu sein und geben ihnen dadurch Gelegenheit, um Allahs willen zu geben. So sind sie es, die in Wirklichkeit den Reichen den Weg zur Errettung bereiten. Darüber hinaus entwickeln die Armen dadurch Liebe und Respekt für die Reichen, so dass Barmherzigkeit und Liebe in den Herzen der Reichen wie der Armen erblühen können.

In dieser Weise sind die Armen die Spiegel der Gnadenfülle Allahs. Die gutherzigen Reichen, die sich ganz Allah hingegeben haben, werden zu Manifestationen der Großzügigkeit Allahs. Indem sie Anteil an der göttlichen Großzügigkeit haben, löschen sie ihr eigenes Dasein in Allahs reiner Großzügigkeit aus.“

Das schreckliche Ende der herzlosen Reichen beschreibt Rûmî in folgenden Worten:

„Mit Ausnahme derer, die ihre Herzen nicht an ihren weltlichen Besitz gefesselt haben, sind die Reichen die eigentlich Armen im spirituellen Sinne. Ihr äußerlicher Reichtum ist nichts als ein lebloses Abbild ihres unglückseligen Zustandes. Dies sind seelenlose Menschen, die der Wirklichkeit gegenüber achtlos sind. Nähere dich ihnen nicht, um Freundschaft mit ihnen zu schließen, wirf Abbildern von Hunden keine Knochen vor!

Diese Menschen sind Sklaven ihrer weltlichen Interessen. Der Durst nach Göttlichem ist ihnen unbekannt.“

Und Rûmî warnt uns vor ihrer Gesellschaft, indem er sagt:

„Stell den Toten keine Teller mit Essen hin. Diese Leute werden im Jenseits bemitleidenswerte Bettler sein. Der Derwisch, der dem Brot hinterherläuft, ist wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er sieht aus, wie ein Fisch, doch er flieht das Meer. Er liebt Allah wegen des Gewinns und seine Seele ist nicht in Liebe zur Vorzüglichkeit und Schönheit Allahs entbrannt.“

Wir sollten uns deshalb nicht durch den Trug irdischer Genüsse, wie beispielsweise köstlichen Getränken und Gerichten, von der göttlichen Versorgung im Jenseits abhalten lassen. Und wenn wir im Jenseits nicht zu den Verlierern zählen wollen, müssen wir im Diesseits die Bedürftigen mit unserer Wohltätigkeit umgeben.

Ein weiteres wichtiges Prinzip besteht darin, Wohltätigkeit möglichst im Verborgenen zu geben. Wenn Spenden öffentlich verteilt werden, verlieren die Armen im Laufe der Zeit das Gefühl natürlicher Scheu und gewöhnen sich daran, andere um Unterstützung zu bitten. So werden sie eher zur Untätigkeit neigen und das Interesse an Arbeit nach und nach verlieren. Und für den Spender kann das öffentliche Spendengeben leicht zur Falle werden, indem es ihn zu Stolz und Selbstüberschätzung verleitet.

Natürlich kann man gelegentlich, um durch ein gutes Beispiel seine Mitmenschen zur Freigiebigkeit zu animieren, vor den Augen anderer seine Spenden geben. Auf diese Weise werden andere, einfache Leute zur Nachahmung ermuntert. Aus diesem Grunde heißt es im heiligen Qur’ân:

Wenn ihr Almosen offen gebt, so ist es richtig, und wenn ihr sie verbergt und sie den Armen gebt, so ist es besser für euch und bedeckt eure Missetaten. Und Allah kennt euer Tun genau.“ (2:271)

Die Qur’ân-Kommentatoren interpretieren diesen Vers dahingehend, dass die Pflichtabgaben öffentlich und freiwillige Spenden im Verborgenen gegeben werden sollten.

Die beste Art, Spenden zu geben, ist die, bei der die rechte Hand gibt, ohne dass die linke davon weiß. Gemäß den Worten des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – werden diejenigen, die in dieser Weise spenden, am Jüngsten Tage im Schatten des göttlichen Throns zu finden sein. Und unsere Vorväter verhielten sich beim Geben wohltätiger Spenden in genau dieser Weise. Der Osmanische Sultân Muhammad Fâtih, der Eroberer Istanbuls, legte bei der Gründung einer seiner Stiftungen die folgenden Bedingungen fest:

„Ich, Sultân Muhammad Fâtih, überschreibe hiermit die 136 Läden, die ich mit meiner eigenen Hände Arbeit erworben habe, als Spende an die wohltätige Stiftung, für die folgende Regeln gelten sollen:

In der Suppenküche, die ich in dem Komplex neben der Moschee habe errichten lassen, sollen die Witwen der Märtyrer und ihre Kinder und die Armen Istanbuls zu essen bekommen. Diejenigen, die aus irgendeinem Grund nicht zur Suppenküche kommen können, sollen ihr Essen in geschlossenen Behältern nach Einbruch der Dunkelheit ins Haus gebracht bekommen, damit sie sich nicht als Empfänger von Spenden erniedrigt fühlen müssen.“

Wie aus diesem historischen Dokument deutlich zu ersehen ist, handelte Sultân Muhammad Fâtih in höchst einfühlsamer Weise, um die Gefühle und die Würde der Bedürftigen nicht zu verletzen, und erließ dementsprechende Anordnungen. Die Untertanen eines solchen Herrschers verhielten sich natürlicherweise ebenso. Sie pflegten ihre Spenden in einem Umschlag in sogenannte Zakât-Steine in den Moscheen zu stecken, aus denen die Bedürftigen, ohne gesehen zu werden oder sich schämen zu müssen, das nehmen konnten, was sie brauchten.

Dies ist die höchste Stufe edlen Verhaltens, bei der die Reichen nicht erfahren, wer die Spenden erhält und die Armen nicht wissen, wer sie gegeben hat. Auf diese Weise werden die Reichen vor Hochmut gegenüber den Armen und die Armen vor dem Gefühl, den Reichen gegenüber zu Dank verpflichtet zu sein, geschützt.

Der wichtigste Sinn der Religion besteht, nach dem Glauben an Allah, darin, Menschen mit gutem Charakter hervorzubringen, die ein tiefes Verständnis ihres Daseinszweckes entwickeln und eine friedliche Gesellschaft bilden können. Eine derartige, ideale Gesellschaft kann nur dann entstehen, wenn die Herzen der Einzelnen von Barmherzigkeit und Mitgefühl erfüllt sind und sie aus diesem Grunde großzügig freiwillig spenden und ihre Pflichtabgaben entrichten.

Wir leben im Herrschaftsbereich Allahs des Allmächtigen von der Versorgung, die Er uns in Seiner Großzügigkeit gewährt. Wenn Menschen die Arten von Gottesdienst vernachlässigen, die ihnen materielle Opfer abverlangen, sind sie sich offensichtlich nicht bewusst, dass alles Allah gehört und wem sie Seinen Besitz vorenthalten.

Liebe wächst durch Aufopferung auf dem Weg des Geliebten. Entsprechend dem Grad seiner Liebe opfert der Liebende für den Geliebten. Manchmal gibt der Liebende sogar sein Leben, um den Geliebten glücklich zu machen. Weil Wohltätigkeit um Allahs willen gegeben wird, bringt Er im heiligen Qur’ân zum Ausdruck, dass Er es ist, der durch die Hände der Armen die Spenden annimmt:

Wissen sie denn nicht, dass es Allah ist, der die Reue Seiner Diener akzeptiert und die Wohltätigkeit annimmt, und dass Allah der Allvergebende, der All-Barmherzige ist?“ (9:104)

Und, um diese Wahrheit zu bestätigen, sagte der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm:

„Wahrlich, wenn ein Spender eine Spende gibt, ist Allah der Erste, der sie erhält, noch vor dem Bedürftigen, und dann ist Er es, der sie dem Armen gibt.“[1]

Deshalb ist das wichtigste Merkmal der Wohltätigkeit, dass sie mit Aufrichtigkeit um Allahs willen gegeben werden muss. Diejenigen, die spenden, sollten sich niemals stolz oder denen überlegen fühlen, die von ihrer Wohltätigkeit profitieren, und sie sollten auch keine Dankbarkeit von ihnen erwarten. Alle derartigen Gefühle und Erwartungen machen den Segen und göttlichen Lohn der Wohltätigkeit zunichte. Deshalb sollten, im Gegenteil, die Spender sich bei den Empfängern bedanken. Nur so wird Allah diesen Gottesdienst der Wohltätigkeit akzeptieren.

Die folgenden Verse des heiligen Qur’ân, die die Vorzüglichkeit wohltätiger Spenden beschreiben, lehren uns, hier konkret auf das beispielhafte Verhalten ´Âlîs und Fâtimas – möge Allah mit ihnen zufrieden sein – bezogen, das rechte Benehmen beim Spendengeben:

Und sie geben, aus Liebe zu Ihm, dem Armen, der Waise und dem Gefangenen zu essen, (und sagen:) ‚Wir geben euch um Allahs willen zu essen. Wir begehren von euch dafür weder Lohn noch Dank. Wahrlich, wir fürchten nur von unserem Herrn einen finsteren, unheilvollen Tag.’ Darum wird Allah sie vor dem Übel jenes Tages bewahren und ihnen Herzensfreude und Glückseligkeit bescheren.“ (76, 8-11)

Wenn die Spender von solch erhabenen Gefühlen motiviert sind, werden auch die Empfänger davon profitieren. Die guten Absichten und die Aufrichtigkeit der Gebenden werden sich in den Herzen der Bedürftigen widerspiegeln. Selbst wenn sie eventuell nicht zum Erhalt der Gaben berechtigt waren, kann diese Art von Wohltätigkeit das Leben der Spendenempfänger in positiver Weise verändern. Eine derartige Transformation wird in einer Überlieferung beschrieben, in der der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – erzählte:

„Ein Mann sagte, dass er etwas spenden wolle. So ging er mit seiner Spende los und gab sie unwissentlich einem Dieb. Am nächsten Morgen informierten ihn die Leute, dass er seine Spende einem Dieb gegeben hatte. Da (er dies hörte,) sagte er:

‚O Allah, aller Lobpreis gebührt Dir! Ich werde noch einmal spenden!’

So ging er wieder mit seiner Spende los und gab sie (unwissentlich) einer Prostituierten. Am nächsten Morgen informierten ihn die Leute, dass er seine Spende in der letzten Nacht einer Prostituierten gegeben hatte. Da (er dies hörte,) sagte er:

‚O Allah, aller Lobpreis gebührt Dir! Ich habe meine Spende einer Prostituierten gegeben. Ich werde noch einmal spenden!’

So ging er noch einmal mit seiner Spende los und gab sie (unwissentlich) einem Wohlhabenden. Am nächsten Morgen informierten ihn die Leute, dass er seine Spende einem Wohlhabenden gegeben hatte. Da (er dies hörte,) sagte er:

‚O Allah, aller Lobpreis gebührt Dir! Ich habe meine Spenden einem Dieb, einer Prostituierten und einem Wohlhabenden gegeben!’

Da kam jemand zu ihm und sagte: ‚Die Spende, die du dem Dieb gegeben hast, kann ihn vom Stehlen abhalten, die Spende, die du der Prostituierten gegeben hast, kann sie von der Unzucht abhalten und die Spende, die du dem Wohlhabenden gegeben hast, kann eine Lehre für ihn sein, die ihn dazu bringt, den Wohlstand, den Allah ihm gegeben hat, auf dem Wege Allahs auszugeben.’“[2]

Bemerkenswert ist, wie sich die Bedeutung dieser prophetischen Überlieferung im Leben eines der Gottesfreunde namens Scheikh Sâmî Efendi manifestierte, die Mûsâ Efendi uns einmal erzählte:

„Wir waren eines Tages mit dem Auto unterwegs, als jemand uns signalisierte, anzuhalten. Als wir stoppten, sprach er uns mit den Worten an:

‚O Hajji Baba, gib mir etwas Geld um Allahs willen, damit ich Zigaretten kaufen kann!’

Scheikh Sâmî’s Begleiter wollten dem Mann kein Geld geben, doch der Scheikh sagte: ‚Da er um unsere Hilfe gebeten hat, ist es besser, etwas zu geben!’

Als der Bedürftige dieses freundliche Verhalten sah, sagte er, er habe seine Absicht geändert und werde mit dem Geld Brot anstatt Zigaretten kaufen und ging, sichtlich erfreut, davon. Aus Neugierde folgte ihm einer der Schüler des Scheikhs, um zu sehen, wofür er das Geld ausgeben würde und stellte zu seiner Überraschung fest, dass der Mann, wie er es gesagt hatte, von diesem Geld tatsächlich Brot kaufte.“

Dies ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Spenden, die einzig um Allahs willen gegeben werden, die Herzen derer, die sie empfangen, wenden können. Aus diesem Grunde sollten wir, wenn wir spenden, genauer untersuchen, was in unserem eigenen Herzen ist, als was im Herzen des Empfängers sein mag.

O unser Herr, mache Deine grenzenlose Barmherzigkeit zu einem niemals endenden Schatz in unseren Herzen! Âmîn!

 

[1] Munâwî, Kanzu l-Haqâ’iq

[2] Bukhârî, Kitâbu z-Zakât, 502