Regeln bezüglich der Entrichtung der Zakât

Die Zakât auf Geld in Höhe von 2,5% wird nach dem Ablauf eines Mondjahres fällig, welches 355 Tage hat. Grundlage der Berechnungen ist jedoch heutzutage in den meisten Fällen das Sonnenjahr, welches 365 Tage hat. Um den Unterschied von 10 Tagen auszugleichen, sollte in diesem Fall bei der Berechnung der Zakât anstelle von 2,5% ein Prozentsatz von 2,6% zugrunde gelegt werden.

Ein weiterer Faktor bei der Berechnung der Zakât ist die Inflation, die heutzutage in manchen Ländern bis zu 100% betragen kann. Wenn wir von dem ursprünglichen Betrag des Geldes nach Ablauf eines Jahres die Zakât entrichten, erhalten die Bedürftigen am Ende nur die Hälfte dessen, was ihnen eigentlich zustehen sollte.

Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass die Zakât nur Individuen zugutekommen darf. Spendenempfänger wie Moscheen, Schulen, Krankenhäuser sind nicht berechtigt, Zakât zu empfangen. Natürlich können und sollten wir diese jedoch mit anderen, freiwilligen Spenden unterstützen. Auch Armenspeisungen gelten nicht als Zahlung von Zakât, weil sie nicht im eigentlichen Sinne in den frei verfügbaren Besitz der Bedürftigen übergehen.

Im Qur’ân ist klar definiert, wer berechtigt ist, Zakât zu erhalten. Dadurch wird diesen Menschen ermöglicht, ein menschenwürdiges Dasein zu führen, ohne dass andere in erniedrigender Weise auf sie herabschauen. Indem er auf diese Weise ihre Grundversorgung regelt, bemüht sich der Islam dabei auch darum, die Menschen vom Betteln abzuhalten.

Einmal kam ein Dorfbewohner zum Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – und bat um Spenden. Als er sah, dass der Mann gesund und kräftig war, fragte ihn der Prophet – Allahs Segen und Friede seien auf ihm:

„Was hast du an Besitz bei dir?“

Der Mann antwortete: „Ich habe einen Baumwollsack und eine Schüssel.“

Da sagte der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden:

„Verkaufe diese beiden Dinge und kauf dir eine Axt, schlage Holz im Wald und verkaufe es, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen!“[1]

Dieser Muslim folgte dem Rat des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – und entkam dadurch in kurzer Zeit seiner Armut.

Der Islam ist eine Religion des Gleichgewichts. Er verbietet den Bedürftigen nicht, um Hilfe zu bitten, wenn sie etwas brauchen, aber er ermutigt die Menschen dazu, sich selbst zu helfen. Über diejenigen, die gewohnheitsmäßig betteln und um Almosen bitten wird im Qur’ân gesagt:

Unter ihnen sind solche, die dir wegen der Almosen Vorwürfe machen. Wenn sie etwas bekommen, sind sie zufrieden, wenn sie aber nichts bekommen, siehe, dann werden sie wütend.“ (9:58)

Solche Menschen verlieren ihre Würde und versuchen, sich das Leben möglichst leicht zu machen. Der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – mochte diese Art von Leuten nicht und legte ihnen nahe, zu arbeiten. Als einmal ein Mann zum Propheten kam – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, um ihn um Almosen zu bitten, sagte er:

„Allah der Allmächtige hat es nicht dem Willen der Leute und nicht einmal dem Willen der Propheten überlassen, zu entscheiden, wer berechtigt ist, Zakât zu empfangen! Er hat acht Arten von Menschen bestimmt und gesagt: ‚Wenn du zu einer dieser acht Gruppierungen gehörst, kannst du deinen Anteil von den Spenden nehmen!’“[2]

Beim Verteilen der Zakât ging der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – mit größter Genauigkeit vor. Er pflegte persönlich die Zakât von den Reichen einzusammeln und an die acht im Qur’ân benannten Gruppierungen von Menschen zu verteilen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht auch anderen Menschen in jeder Weise helfen könnten, die uns lieb ist, aber dies fällt nicht unter die Pflichtabgabe der Zakât. Unabhängig von dieser kann man jederzeit Geld für gute Zwecke als wohltätige Spenden geben. Der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – weigerte sich zwar, denjenigen Zakât zu geben, denen sie nicht zustand, aber bei der Verteilung freiwilliger Spenden wies er niemanden zurück, denn der heilige Qur’ân gebietet:

... und den Bittenden weise nicht zurück!“ (93:10)

Und der Prophet selbst – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – sagte:

„Es gehört zum guten Charakter, die einem entgegengestreckte offene Hand nicht leer ausgehen zu lassen, und sei es auch nur mit einer Dattel.“[3]

Von diesem Prophetenwort inspiriert, pflegte mein Vater, Mûsâ Efendi, selbst denen Spenden zu geben, die berufsmäßig bettelten. Und er sagte:

„Wir sollten immer etwas geben, damit wir uns nicht daran gewöhnen, nichts zu geben und geizig werden.“

Der Islam ist eine sehr ausgeglichene Religion, die einerseits den Reichen empfiehlt, großzügig für die Armen und andere gute Zwecke zu spenden, andererseits jedoch auch von den Armen verlangt, hart für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten und nicht betteln zu gehen. Manch einer mag auf den Gedanken kommen, dass so viel Ermunterung zum Spenden eine Klasse von Schmarotzern produzieren könnte, die nur von den Gaben der Reichen leben. Um die Gefahr eines solchen Missbrauchs der milden Gaben anderer zu verhindern, erlaubt der Islam nur in Ausnahmesituationen, andere um Unterstützung zu bitten. Ständiges Bitten erniedrigt den Menschen in seinem sozialen Status und nimmt ihm seine Würde. Deshalb machte es der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – bei vielen seiner Gefährten, als sie ihre Treueschwur leisteten, zur Bedingung, dass sie niemanden um etwas bitten würden.

Es gehört jedoch zu den Aufgaben eines guten Muslims, nach den wirklich Bedürftigen Ausschau zu halten, die niemanden um etwas bitten und sich scheuen, ihre finanziellen Schwierigkeiten zu erwähnen. In der folgenden Überlieferung definiert der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – diejenigen als arm, die nicht genug besitzen, um ihren täglichen Lebensunterhalt zu bestreiten:

„Ein Armer ist nicht derjenige, der unter den Leuten umhergeht und hier um einen oder zwei Bissen und ein oder zwei Datteln bittet, sondern derjenige, der nicht genug besitzt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen - ohne dass andere von seinem Zustand wüssten, um ihm etwas zu geben - und der die Leute um nichts bittet.“[4]

Damit weist uns der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – darauf hin, dass diejenigen, die umhergehen und andere Menschen um Hilfe bitten, meist in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu finden. Deshalb sollten wir uns auf die konzentrieren, die Niemanden bitten und ihre Armut geduldig ertragen. Auch im heiligen Qur’ân wird betont, wie wichtig es ist, gerade diese Menschen durch Wohltätigkeit zu unterstützen:

  „(Wohltätigkeit ist) für die Armen, die, weil sie auf dem Weg Allahs sind, gehindert werden und sich nicht frei im Land bewegen können. Der Unwissende hält sie, wegen ihrer Zurückhaltung, für wohlhabend. Du kannst sie jedoch an ihrem Auftreten erkennen. Sie betteln die Menschen nicht aufdringlich an. Und was immer ihr an Gutem spendet, wahrlich, Allah weiß es sehr wohl.“ (2:273)

Wie diesem Vers deutlich zu entnehmen ist, sollte derjenige, der Zakât zu entrichten hat, die Bedürftigkeit der potentiellen Empfänger genau prüfen. Wenn er dies nicht tut und später feststellt, dass der Empfänger nicht wirklich berechtigt war, die Zakât zu erhalten, muss er den gleichen Betrag noch einmal entrichten, weil die erste Zahlung ungültig war. Sollte ihm jedoch trotz genauer Prüfung ein Fehler unterlaufen sein, so gilt er als entschuldigt und muss die fällige Zakât kein zweites Mal entrichten.

Darüber hinaus muss die Zakât tatsächlich in den Besitz ihres Empfängers übergehen, so dass er darüber frei verfügen kann.

Beim Entrichten der Zakât ist folgendes zu beachten: Als erstes hat der Mensch Verpflichtungen sich selbst gegenüber, dann gegenüber seiner Familie, dann gegenüber seinen Verwandten entsprechend dem Grad ihrer Blutsverwandtschaft. Dies sind auch die Beziehungen, die das islamische Erbrecht als entscheidend betrachtet. Darüber hinaus stellt natürlich der Grad der Bedürftigkeit einen wichtigen Faktor dar.

Wenn wir eine Auswahl der Zakât-Empfänger zu treffen haben, müssen wir also die Dringlichkeit ihrer Hilfsbedürftigkeit und den Grad ihrer verwandtschaftlichen Nähe berücksichtigen. Wenn ein Fremder und ein Verwandter beide gleich hilfsbedürftig sind, ziehen wir den Verwandten vor, wenn jedoch der Fremde der Hilfe mehr bedarf als der Verwandte, muss dem Fremden der Vorrang gegeben werden. Das Vorziehen von Verwandten sollte also nicht dazu führen, dass wirklich Bedürftige, die in der Tat unter schwierigen Umständen leiden, vernachlässigt werden.

Diese Prinzipien machen deutlich, dass der Islam eine Religion der Barmherzigkeit ist und zugleich eine Kraft darstellt, die ein Leben im Gleichgewicht fördert. Die wunderbarste Frucht des Glaubens ist die Barmherzigkeit im Umgang mit anderen Menschen, wohingegen ein Herz, das der Barmherzigkeit entbehrt, in Wirklichkeit ein lebloses, ein totes Herz ist. Die Basmalah, jene Formel, die ein jeder Muslim zu Beginn einer Handlung spricht, drückt die Vorzüglichkeit der göttlichen Namen aus, die in Verbindung stehen mit Seiner Gnade und Barmherzigkeit:

„Im Namen Allahs, des All-Gnädigen, des All-Barmherzigen“

Und ebenso werden zu Beginn der ersten Sure des heiligen Qur’ân mit eben diesen Worten die Eigenschaften der Barmherzigkeit Allahs erwähnt:

„Lobpreis sei Allah, dem Herrn (und Erhalter) der Welten,

dem All-Gnädigen, dem All-Barmherzigen“

Darüber hinaus sind die Lebensgeschichten der Sufis beredte Zeugnisse gelebter Barmherzigkeit gegenüber der gesamten Schöpfung Allahs des Allmächtigen. Und der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – betonte stets, wie wichtig es für den Menschen ist, barmherzig zu sein, damit auch er der göttlichen Barmherzigkeit Allahs teilhaftig werde:

„Seid barmherzig gegenüber denen, die auf Erden sind, dann ist euch Der barmherzig, der im Himmel ist!“[5]

Das Entrichten der Zakât, freiwilliger Spenden und der ‚´Uschr’ genannten Abgabe auf die Ernte der Bauern sind einige der wichtigsten Schlüssel zum Erlangen dieser himmlischen Barmherzigkeit.

 

[1] Abû Dawûd, Kitâbu z-Zakât

[2] Baihaqî, Sunanu l-Kubra, VII, 6

[3] Bukhârî, Kitâbu z-Zakât

[4] Bukhârî, Kitâbu z-Zakât, 557

[5] Abû Dawûd, Adab, 58