Bedingungen für die Annahme des Gebets

1. Khuschû´ - Fromme Ehrerbietung

Mit den äußerlichen Bedingungen und Voraussetzungen des Gebetes beschäftigen sich die islamischen Rechtswissenschaften (Fiqh). Ein Gebet, das deren Regeln und Bestimmungen nicht genügt, ist ungültig. Ein Gebet jedoch, das gänzlich frommer Ehrerbietung entbehrt, hat ebenso sein Ziel verfehlt. Deshalb sollte das Gebet die äußeren Bestimmungen der Rechtswissenschaft ebenso wie die inneren, welche die Regeln zum Erwerb der Zierden des Herzens sind, erfüllen. Um diese Zierden des Herzens zu erlangen, ist es notwendig, in die Geheimnisse der Selbstläuterung oder Reinigung des Egos einzudringen. So sagt Allah im edlen Qur’ân:

Erfolgreich jedoch wird der sein, der sich reinigt.“ (87:14)

Dieser Prozess der spirituellen Entwicklung ist von ungeheurer Bedeutung für das Gebet. Allah der Allmächtige erwähnt im heiligen Qur’ân nicht, was genau die Pflichten (Fard), Notwendigkeiten (Wâjib) oder die Anzahl der Gebetseinheiten jedes einzelnen Gebetes sind, dagegen nennt Er wiederholt die Bedeutung frommer Ehrerbietung, Aufrichtigkeit und innerer Ausgeglichenheit. Dabei spricht Er von jenen Zuständen, die für unser gesamtes Leben wichtig sind. Deswegen sind diese spirituellen Aspekte von solch außerordentlicher Bedeutung, dass man sie beim Verrichten des Gebets niemals außer Acht lassen sollte. Im heiligen Qur’ân heißt es:

„Wahrhaft erfolgreich werden die Gläubigen sein; diejenigen, die in ihren Gebeten voll frommer Ehrerbietung sind.“ (23:1-2)

Und der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – hat gesagt:

Wer seine Gebetswaschung vollkommen macht, das Gebet zur rechten Zeit verrichtet sowie die Verneigungen und Niederwerfungen vollständig und in frommer Ehrerbietung ausführt, dessen Gebet fährt auf wie ein strahlendes Licht und ruft ihm zu: ‚Möge Allah dich bewahren, so wie du meine Bestandteile in ihrer Vollständigkeit bewahrt hast!’ Wer jedoch seine Gebetswaschung nicht vollkommen macht, das Gebet nicht zur rechten Zeit verrichtet sowie die Verneigungen und Niederwerfungen nicht vollständig und nicht in frommer Ehrerbietung ausführt, dessen Gebet fährt auf als schwarze Dunkelheit und ruft ihm zu: ‚Möge Allah dich vernachlässigen, so wie du mich vernachlässigt hast!’ So kehrt das Gebet, nachdem es zu dem von Allah bestimmten Platze aufgefahren ist, zurück und schlägt dem Achtlosen ins Gesicht.[1]

Als Scheikh Bahâ’uddîn Naqschbandî einst gefragt wurde: „Wie kann der Gottesdiener fromme Ehrerbietung während des Gebets erreichen?“ antwortete er:

„Es gibt dafür vier Bedingungen:

1. Rechtmäßiges Einkommen

2. Aufmerksamkeit während der Gebetswaschung

3. Bewusstsein der Gegenwart Allahs zu Beginn des Gebets, wenn man ‚Allahu akbar!’ sagt

4. Das im Gebet vorhandene Bewusstsein der göttlichen Gegenwart, das heißt, die Präsenz, innere Ruhe, Konzentration und den Gehorsam gegenüber Allah, nach dem Gebet beizubehalten.“

Die fromme Ehrerbietung während des Gebets ist so bedeutsam, dass Allah Seinen Diener entsprechend ihrem Maße behandelt. So hat der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – gesagt:

„Wenn ein Mensch sein Gebet vollendet hat, erhält er ein Zehntel von dessen Lohn, oder ein Neuntel, oder ein Achtel, oder ein Siebtel, oder ein Fünftel, oder ein Viertel, oder ein Drittel, oder die Hälfte ...“[2]

und:

„Manch einer erhält nicht einmal ein Sechstel oder gar ein Zehntel des Lohns für sein Gebet. Er bekommt nur den Lohn für den Teil, den er in frommer Ehrerbietung verrichtet hat.“[3]

So erhält der Diener nur den Lohn für das Gebet in frommer Ehrerbietung.

Diejenigen, die ihr Gebet in Aufrichtigkeit verrichten, sind bemüht, dessen Anforderungen gerecht zu werden und verleihen damit ihrer Hingabe an Allah Ausdruck. Sie konzentrieren sich ausschließlich auf das Gebet, um daraus spirituellen Nutzen zu ziehen. Sie fixieren ihren Blick auf den Punkt, auf dem ihre Stirn ruht, wenn sie sich niederwerfen und gehen bis hin zur Verzückung in dem tiefen spirituellen Empfinden auf, dass göttliche Blicke auf ihnen ruhen.

Dies ist der Zustand eines aufrichtigen Dieners mit reinem Herzen, so wie fromme Ehrerbietung insgesamt eine Frucht der Aufrichtigkeit ist. Die Aufrichtigkeit verleiht dem Diener fromme Ehrerbietung, führt ihn zu hohen Stufen in der Gegenwart Allahs und garantiert ihm göttlichen Schutz. Der ehrwürdige Gesandte – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – sagte über diese Gottesdiener:

Frohe Botschaft für diejenigen, die aufrichtig sind! Sie sind die Lichter der Rechtleitung. Um ihretwillen werden die schlimmsten Schrecken abgewendet.[4]

Damit Aufrichtigkeit und fromme Ehrerbietung im Herzen Wurzeln schlagen und dadurch spirituellen Nutzen bringen können, sind folgende Punkte zu beachten:

1.1. Innerer Herzensfriede

Die Seele sollte ausschließlich vom Geiste des Gebets, dem Lobpreis Allahs und den heiligen Versen des Qur’ân eingehüllt sein. Der Betende soll sich von allen weltlichen Beschäftigungen losreißen. Eine Seele, die sich nicht von der Beschäftigung mit der Welt trennen kann, ist unfähig, sich auf das Gebet zu konzentrieren. Sie kann sich nie der Gegenwart Allahs bewusst werden. Wenn der Diener fähig ist, diese Art von Unachtsamkeit zu überwinden, um Allah zu begegnen und den Segen der Rezitation des Qur’ân zu empfangen, erreicht er Frieden im Herzen. Die rechtschaffenen Männer Allahs mühten sich damit ab, nicht nur verpasste Gebete, sondern auch all die Gebete, in denen sie keinen Herzensfrieden erreicht hatten, nachzuholen. Das bedeutet nicht, dass jeder sich so zu verhalten hätte, doch es demonstriert die Wichtigkeit des Herzensfriedens im Gebet.

Die Ursache für inneren Frieden ist spirituelles Streben, der Wunsch, sich spirituell weiterzuentwickeln, und dieses Streben findet wiederum seine Erfüllung im Erfahren jener Gottesnähe, die nur durch das Gebet erreicht werden kann.

1.2. Aufmerksames Verstehen

Man sollte, entsprechen den jeweiligen Fähigkeiten, verstehen, was man rezitiert und diesem Verständnis die notwendige Aufmerksamkeit widmen. Dies ist, nach dem Herzensfrieden, der zweitwichtigste zu beachtende Punkt. Und dieses aufmerksame Verstehen erweist sich als eine Brücke dazu, auch außerhalb des Gebetes die darin vereinigten Zustände aufrecht zu erhalten.

1.3. Ehrerbietung

Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass man sich in der Gegenwart Allahs des All-Gewaltigen Allmächtigen befindet, um sowohl körperlich als auch spirituell frommer Demut Ausdruck zu verleihen. Ehrerbietung beinhaltet die Bewahrung von innerer Ruhe, aufmerksamem Verstehen sowie die Umsetzung der für das Gebet geltenden Regeln. Diese Verhaltensformen einzuhalten vervielfacht den Segen des Gebetes und ein solches Gebet wird am Tage des Gerichts Fürsprecher für den Betenden sein.

 Dabei sollte man die folgende Warnung beachten:

 „Wenn du wünschst, dass dein Gebet zu einer Himmelsreise wird, so denke nicht, dass deine Anbetung vorzüglich sei, angesichts der gewaltigen Herrlichkeit des Herrn und all der Gnadengeschenke, die Allah dir gewährt hat! Glaube nie, dass deine Anbetung ausreichend wäre, Allah zu danken! Gedenke des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, der zu häufig sagen pflegte:

O mein Herr, ich bin unfähig Dir in gebührender Weise zu dienen, so vergib’ mir!

1.4. Ehrfurcht

Aus der Ehrerbietung heraus wird im Inneren eine Art von Furcht geboren. Die Ehrfurcht erzeugt im Bewusstsein des Betenden ein Gefühl für die Allmacht und Erhabenheit Allahs, welches zu Ernsthaftigkeit und Frömmigkeit führt. Dies sind die effektivsten Wege für den Diener, seine Rangstufen bei Allah zu erhöhen. Im heiligen Qur’ân heißt es:

   „Wahrlich, der Angesehenste von euch bei Allah ist der, der am gottesfürchtigsten ist.“ (49:13)

Und Abû Dharr – möge Allah mit ihm zufrieden sein – berichtete, wie er eines Tages im Herbst mit dem Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – hinausging. Die Blätter fielen von den Bäumen. Da sagte dieser:

O Abû Dharr! Es gibt wahrlich keinen Zweifel daran, dass, wenn ein Muslim sein Gebet allein um Allahs willen in voller Aufrichtigkeit verrichtet, seine Sünden von ihm abfallen wie diese Blätter von den Bäumen.[5]

1.5. Hoffnungsvolle Erwartung

Man soll während des Gebetes auf die Barmherzigkeit Allahs hoffen und im Anschluss an das Gebet um diese bitten. Furcht vor Allah alleine betrübt den Menschen und könnte eines Tages unser spirituelles Gleichgewicht gefährden. Hoffnungsvolle Erwartung bildet einen Ausgleich und beseitigt damit diese Gefahr.

1.6. Scham

Dies ist eine weitere Tugend, die die oben genannten ergänzt. Der Diener, der sich der göttlichen Präsenz gegenübersieht, schämt sich für sein ungehöriges Verhalten und seine Sünden, so dass er sich deshalb um Besserung bemüht. Er wird sich im Gebet seiner Fehler und Nachlässigkeiten bewusst und entgeht so der Einbildung, er könne sich zu seiner Rettung auf seine Anbetung verlassen. Dazu sagte der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm:

Keiner soll sich darauf verlassen, dass ihm seine Sünden allein wegen seiner Anbetung vergeben werden![6]

Keiner kann garantieren, dass Jemandes Sünden wegen seiner Gebete vergeben werden. Deshalb geziemt es sich, mit der gebührenden Scham für das eigene schlechte Benehmen um die Gnade und Barmherzigkeit der Vergebung des Allmächtigen zu bitten, die Ausdruck Seines unendlichen Mitgefühls ist. Ohne dies wären all unsere Gebete und unsere Bemühungen, Dankbarkeit zu zeigen, vergebens. Trotzdem erlangen die Gebete, die voller Demut und Achtsamkeit verrichtet werden, das Wohlgefallen Allahs und werden zum Anlass für Seine großzügigen Segnungen.

Wer jedoch nicht den Rhythmus des Körpers mit der Ehrfurcht im Herzen vereint, kann nicht zur Essenz des Gebets gelangen, die zu erreichen es sowohl der physischen wie der spirituellen Aspekte bedarf. Deshalb sollte man alles, was diesem Zusammenspiel von Körper und Geist im Wege steht, aus dem Wege räumen und der Verstand sollte frei von jeglicher Ablenkung sein. So sagte der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – zum Beispiel:

Wenn das Essen zur Gebetszeit bereit ist, esst zuerst (bevor ihr betet)!“

Muslimische Gelehrte betonen die Wichtigkeit dieser Einheit von Körper und Geist während des Gebets und warnen in der Form von Gleichnissen besonders vor drei Arten von Fehlverhalten, die das Gebet gefährden und deren Vertreter sie mit entsprechenden Berufen oder Tätigkeiten vergleichen:

  • Der Jäger
  • Der Lastenträger
  • Der Kaufmann

Der Jäger ist jemand, dessen Augen während des Gebets ständig unruhig umherspähen.

Der Lastenträger ist einer, der sich vor dem Gebet, obwohl er dessen bedürfte, nicht erleichtert und nicht seine Gebetswaschung erneuert.

Der Kaufmann ist derjenige, der seine Gedanken nicht von den Dingen dieser Welt befreien kann.

Diesen drei Typen von Menschen entgeht der Segen des Gebets, weil sie nie zu Ruhe und Ehrfurcht finden können. Ihr Gebet wird zum Selbstzweck und verliert seinen Wert im Angesicht Allahs, weil ihre Körper oder Gedanken beim Gebet nicht anwesend sind. So sagte der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, als er sah, wie jemand während des Gebets mit seinem Bart spielte:

Wenn in seinem Herzen fromme Ehrerbietung wäre, blieben all seine Körperteile bewegungslos.[7],

und verlieh damit der gleichermaßen großen Bedeutung der Präsenz von Herz und Körper im Gebet Ausdruck.

Und ebenso sagte er – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden:

Wenn ihr euch zum Gebet erhebt, verrichtet euer Gebet, indem ihr all eure Körperteile zur Ruhe bringt! Schwankt nicht hin und her, wie es die Juden tun, denn den Körper ruhig zu halten ist eine Bedingung für die Vollständigkeit des Gebets.[8]

Sieben Dinge während des Gebets sind von Schaytân: Nasenbluten, Schläfrigkeit, Einflüsterungen, Gähnen, Juckreiz, Umherschauen und Herumspielen mit irgendetwas ...[9]

All diese Dinge stehen im Widerspruch zum Geiste des Gebets und mindern seinen Wert.

Andererseits spricht man, wenn Jemand nur äußerlich sein Gebet in frommer Demut verrichtet, während sein Inneres fern davon ist, von heuchlerischer Frömmigkeit oder vorgetäuschter Demut; Eigenschaften, vor denen man sein Herz auf alle Fälle hüten sollte.

Das letzte Wort dieser Betrachtung der ‚frommen Ehrerbietung’ im Gebet soll das Bittgebet des Propheten Ibrahim – auf ihm sei der Friede Allahs – sein, das Allah der Allmächtige uns im heiligen Qur’ân gelehrt hat:

O mein Herr, mach’ mich von denen, die das Gebet verrichten und (ebenso) meine Nachkommenschaft! O unser Herr, und erhöre mein Bittgebet! “ (14:40)

2. Wie man fromme Ehrerbietung im Gebet erreicht

Der Meister Hâtim al-Asam empfiehlt, die folgenden Dinge zu beachten, um den Anforderungen des Gebetes wahrhaft gerecht zu werden:

„Bereite dich für das Gebet in bester Weise vor. Dann stelle die Ka´ba vor deine Augen und die Brücke (Sirât), die ins Paradies führt, unter deine Füße, das Paradies zu deiner Rechten und die Hölle zu deiner Linken! Tritt ein in die Gegenwart Allahs voller Furcht und Hoffnung, mit dem Todesengel Azra’îl hinter dir, der darauf wartet, dein Leben zu nehmen, in dem Bewusstsein, dass dies dein letztes Gebet in dieser Welt ist! Beginne dein Gebet, indem du bewusst ‚Allahu akbar!’ sagst! Beginne mit der Rezitation der Qur’ânverse langsam und indem du über ihre Bedeutung nachdenkst! Lass’ deine Seele sich in Ehrerbietung verneigen und in Demut niederwerfen. Lass’ deinen Körper den äußeren Bestimmungen des Gebets folgen, doch lass’ deine Seele stets in der Position der Niederwerfung bleiben und lass’ nicht zu, dass diese Einheit auch nur für einen Atemzug unterbrochen wird ...“

Imâm al-Ghazâlî betont die Bedeutung der Empfindungen der Liebe zum Gesandten Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – während der sitzenden Position beim Sprechen der Grußformeln (Tahhiyyât) und gibt dafür ein Beispiel. Im Gebet ist es notwendig, dass das Herz ständig in Frieden ist, wie uns die folgende Empfehlung Imâm al-Ghazâlîs zeigt:

„Während der ersten und während der abschließenden Sitzposition soll man sich, während man sagt: ‚der Segen und der Friede seien auf dir, o Prophet, und die Barmherzigkeit Allahs!’, die Gegenwart des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – zwischen den Augen des Herzens vorstellen....“

Welch gewaltige Auszeichnung und erhabene Würdigung liegen in diesen Worten, mit denen Allah Seinen Geliebten – Segen und Friede seien auf ihm – während seiner Himmelsreise (Mi´râj) an der ihm vorbehaltenen höchsten Rangstufe begrüßte:

Der Segen und der Friede seien auf dir, o Prophet, und die Barmherzigkeit Allahs, in dieser Welt und im Jenseits!

Das Gebet ist die Himmelsreise des Gläubigen und versorgt gleichzeitig diejenigen, die in der Lage sind, es zu begreifen, mit ihrem Anteil an den Ausschüttungen göttlicher Gnadengaben. Deshalb sollte man versuchen, aus dem Sprechen der Segenswünsche für den Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – während des Gebetes spirituellen Nutzen zu ziehen, denn diese Worte sind für uns eine Erinnerung an die Himmelsreise des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden. Seine Himmelreise ist ein Ausdruck und Symbol der höchsten Liebe Allahs des Allmächtigen zu Seinem Gesandten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, zu der Er ihn selbst auserwählt und eingeladen hat. Das direkt im Anschluss an die Segenswünsche ausgesprochene Glaubensbekenntnis verdeutlicht, welch große Ehre mit dem Glauben an den Einen Gott und mit der Dienerschaft Ihm gegenüber verbunden ist. Gleichzeitig weist es hin auf das Gebot, bei der Erwähnung seines Namens stets die Segenswünsche für ihn auszusprechen – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden! So ist das Gebet mit all seinen Bestandteilen wie ein von der wahren Essenz des Islam aus zu uns hin geöffneter Fensterladen. Diejenigen, die Allah lieben, kommen Ihm durch dieses Fenster näher und sehen erhabene Erscheinungen und Wirklichkeiten in der Schau göttlicher Mysterien. Allein aus diesem Grunde ist es gänzlich unvorstellbar, vollkommenen Glauben zu verwirklichen, ohne das Geheimnis der Erwähnung des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – zu begreifen, welche sich mit dem göttlichen Namen Allahs zu den Worten des Glaubensbekenntnisses vereint.

So gebietet Allah den Gläubigen, als Widerspiegelung Seiner Liebe zu diesem Besten der Geschöpfe, Segenswünsche auf den Propheten – Segen und Friede seien auf ihm – zu senden und verkündet im gleichen Vers, dass Allah und Seine Engel ebenfalls Segenswünsche auf ihn senden:

Wahrlich, Allah und Seine Engel senden Segenswünsche auf den Propheten, o ihr Gläubigen, wünscht Segen auf ihn und vollkommenen Frieden!“ (33:56)

Diejenigen, die sich ganz dem Gottesdienst und dem Gebet widmen, verlieren sich darin und sorgen sich nicht länger um die Angelegenheiten dieser Welt.

Bezüglich derer, die fähig sind, das Gebet in dieser Weise zu verrichten, sagt Meister Jalâluddîn Rûmî:

„Diese Leute verlassen in dem Moment, in dem sie das Gebet beginnen, diese Welt, so wie ein Opfertier in dem Moment, in dem es geopfert wird, die Welt verlässt.“

Dann ruft Rûmî dem Betenden zu:

„Du betest, in der Gebetsnische einer Moschee nach Mekka gewandt, aufrecht stehend wie eine Kerze. Sei weise und begreife die Bedeutung von ‚Allahu akbar!’: ‚O unser Herr, wir opfern uns in Deiner Gegenwart! Indem wir die Hände zu den Ohren erheben, lassen wir alles hinter uns und wenden uns zu Dir allein!’“

Und Rûmî sagt:

„Genau wie man zu Beginn des Gebets ‚Allahu akbar!’ sagt, spricht man auch beim Schlachten eines Opfertieres die Worte ‚Allahu akbar!’. So ist das Aussprechen des ‚Allahu akbar!’ zu Beginn des Gebets auch ein Symbol dafür, dass man seine egoistischen Wünsche und Begierden opfert.

In jenem Augenblick ist dein Körper wie Ismâ´îl und deine Seele ist wie Ibrahim – auf ihnen beiden sei der Friede. Wenn deine Seele sagt ‚Allahu akbar!’, entledigt sich dein Körper seiner Wünsche und Begierden. Und wenn du dann ‚Bismillahi-Rahmâni-Rahîm’ sagst, werden sie geopfert.

Diejenigen, die aufgereiht stehen im Gebet, in der Gegenwart Allahs, so wie sie auch am Tage des Gerichtes stehen werden, für die beginnt bereits die Befragung, die Abrechnung und das Plädoyer.

Wer im Gebet stehend weint, gleicht dem, der am Tag des Gerichts, nach der Auferstehung aus dem Grabe, vor dem Allmächtigen steht. Allah wird dich zur Rechenschaft ziehen und fragen: ‚Was hast du getan mit deinem Leben in dieser Welt? Was hast du erworben und was hast du für Mich mitgebracht?’

In der Gegenwart Allahs kommen Hunderttausende derartiger schwerwiegender Gedanken und Fragen ins Bewusstsein.“

Und er beschreibt den Ablauf des Gebets:

„Wenn er im Gebet steht, empfindet der Diener Scham, bis er sich beugt, weil er vor Scham nicht mehr stehen kann. In der Verneigung lobpreist er dann Allah, indem er sagt: ‚Gepriesen sei mein Herr, der All-Gewaltige’

Dann befiehlt Allah dem Diener: ‚Erhebe dein Haupt und beantworte genau eine Frage nach der anderen!’

Der Diener erhebt voller Scham sein Haupt, doch wegen der Vielzahl seiner Sünden kann er es nicht ertragen und wirft sich mit dem Gesicht zur Erde nieder.

Da ergeht der göttliche Befehl: ‚Erhebe dich aus der Niederwerfung und berichte, was du getan hast!’

Er erhebt wieder voller Scham sein Haupt, doch er kann es nicht ertragen und fällt zurück mit dem Gesicht auf die Erde.

Da sagt der Allmächtige: ‚Erhebe dein Haupt, ich will dich genau nach jeder einzelnen deiner Taten befragen!’

Die Worte Allahs sind von solch ehrfurchtheischender Gewalt, dass er nicht stehen kann und deshalb mit gebeugten Knien sitzen bleibt. Und der Allmächtige sagt: ‚Nun sprich! Habe Ich dir nicht Gnaden erwiesen? Wozu hast du sie benutzt? Hast du Mir je gedankt? Ich habe dir materiellen und spirituellen Reichtum gegeben, was hast du damit erworben?’

Der Diener wendet sein Gesicht nach rechts und entbietet der Seele des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – und den Engeln den Friedensgruß und bittet: ‚O Herrscher der spirituellen Welt, legt Fürsprache für diesen Übeltäter ein, für diesen armen Sünder, der im Sumpfe seiner Taten untergeht!’

Und der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – erwidert dem Diener auf dessen Gruß: ‚Die Zeit, um Hilfe und Beistand zu rufen ist vorbei, in der Welt hättest du Beistand erhalten können. Du hast keine guten Werke getan, du hast keinen Gottesdienst verrichtet, du hast deine Zeit mit nutzlosen Dingen vergeudet!’

Dann wendet der Diener sein Gesicht nach links. Er bittet seine Verwandten um Hilfe. Doch sie antworten ihm: ‚Bitte uns nicht um Hilfe! Wer sind wir denn? Du musst deinem Herrn selber Rechenschaft ablegen!’

Der Diener, der von nirgendwo Hilfe bekommen kann, verzweifelt. Ohne Hoffnung von irgendwoher Beistand zu finden, wendet er sich an Allah, um bei Ihm Zuflucht zu suchen, erhebt seine Hände zum Bittgebet und sagt: ‚O mein Herr, Du bist der Erste und der Letzte, der Einzige, den der Diener anrufen und der Letzte, an den er sich wenden kann. Ich suche Zuflucht in Deiner endlosen Barmherzigkeit und Deinem grenzenlosen Mitgefühl!’“

Und der in den Strömen tiefgeistiger Versenkung schwimmende Meister Rûmî pflegte zu sagen:

„Schau auf diese frohen Zeichen im Gebet und sei dir bewusst, was dich erwarten könnte. Sammle dich und versuche, aus deinem Gebet sowohl körperlich als auch spirituell Nutzen zu ziehen! Wirf dich nicht nieder, wie ein Vögelchen, das Körner pickt! Nimm’ die Warnung des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – ernst, der gesagt hat: ‚Der schlimmste Dieb ist der, der vom Gebet stiehlt![10]

Wer sein Gebet in frommer Herzensdemut verrichtet und Allah im vollen Bewusstsein Seiner Liebe anfleht, dessen Gebet ist derart angenommen und von solch hohem Wert, dass Allah ihm ‚labbayk!’[11], zuruft!“

Was die Unterschiede im Gebet bezüglich der darin gezeigten frommen Ehrerbietung angeht, hat der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – gesagt:

„Zwei Menschen mögen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zwei Gebetseinheiten (Rak´a) beten, doch zwischen ihnen ist ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde.“[12]

Deshalb weist der Qur’ân darauf hin, dass wirklich Gläubige diejenigen sind, die ihr Gebet in frommer Ehrerbietung verrichten:

„... und die, die ihr Gebet getreulich verrichten...“ (70:34)

und in der gleichen Sure heißt es:

... diejenigen, die beständig im Verrichten ihrer Gebete sind“ (70:23)

Die Gotterkennenden verstehen diese Verse so:

„Die Bedeutung dieser Worte kann sich nicht nur auf die äußere Form des Gebets beziehen, weil diese vergänglich ist. Sie beziehen sich also auf die innere Wirklichkeit des Gebets, auf das Sich-Verneigen und Sich-Niederwerfen der Seele. Beständig im Gebet zu sein, bedeutet, sich niemals vom Gedenken an Allah zu entfernen.“

Und Maulânâ Jalâluddîn Rûmî interpretiert diese Verse so:

„Der Diener bewahrt den Zustand, den er während des Gebets erfährt, nach dem Gebet. So verbringt er sein ganzes Leben in rechtschaffenem Verhalten, frommer Ehrerbietung und schützt seine Zunge und Seele. Dies ist der Weg derer, die Allah lieben.“

Und er fährt fort:

„Das Gebet, das uns von schlechten Taten fernhält, wird fünfmal täglich verrichtet. Diejenigen die Allah lieben sind jedoch stets im Gebet, denn um die Sehnsucht ihrer Seelen und die göttliche Anziehung in ihrer Brust zu stillen, sind fünf Gebete am Tag niemals genug.

Das Gebet dessen, der in Liebe zu Allah entbrannt ist, gleicht dem Zustand eines Fisches im Wasser. Ein Fisch kann nicht ohne Wasser leben, die Seele des Allah Liebenden kann ohne ständiges Gebet keinen Frieden finden. Deshalb gilt der Satz: ‚Besuche mich gelegentlich!’ nicht für diejenigen, die Allah lieben, denn die Seelen der wahrhaft Liebenden dürsten immer nach Ihm.

Wenn ein Liebender nur einen Moment vom Gegenstand seiner Liebe entfernt ist, kommt es ihm vor, als seien es Tausende von Jahren. Und wenn er Tausende von Jahren mit dem Geliebten verbringt, ist es für ihn nur wie ein Augenblick. Das ist der Grund, weshalb derjenige, der Allah liebt, stets im Gebet ist, um dadurch Allah zu begegnen. Wenn er auch nur eine einzige Gebetseinheit verpasst, kommt es ihm vor, als hätte er Tausende verpasst.“

„O, ihr, die ihr Verstand besitzt! Die Begegnung im Gebet ist keine Angelegenheit, die der Verstand begreifen könnte. Sie lässt sich nur begreifen, indem ihr den Verstand dem Geliebten opfert und eure Herzen zum Leben erweckt!“

Diese ‚Erweckung des Herzens’ hängt davon ab, welcher (Gebets) Richtung (Qibla) sich der Diener zuwendet. Maulânâ Jalâluddîn Rûmî sagt:

„Die Gebetsrichtung der Könige ist die Krone und der Gürtel, die Gebetsrichtung der weltlich Gesinnten ist Gold und Silber. Die Gebetsrichtung derer, die dem Materiellen verfallen sind, sind ihre Götzen, die Gebetsrichtung derer, die das Spirituelle lieben, sind das Herz und die Seele. Die Gebetsrichtung der Asketen ist die Nische einer Moschee, die Gebetsrichtung der Achtlosen sind nutzlose Werke und die Gebetsrichtung der Faulenzer ist Schlafen und Essen. Die Gebetsrichtung des Menschen ist Wissen und Weisheit. Die Gebetsrichtung der Liebenden ist die ewige Vereinigung, die Gebetsrichtung der Weisen ist das Angesicht Allahs. Die Gebetsrichtung der Leute des Diesseits ist Besitz und Ansehen, die Gebetsrichtung des Derwisch sind die Regeln seines Ordens. Die Gebetsrichtung des Besessenen ist seine Leidenschaft, die Gebetsrichtung der Genügsamen ist Gottvertrauen.

Wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Gebetsrichtung nicht das Gebäude der Ka´ba ist, sondern der Ort, an dem sie steht. Würde die Ka´ba an einen anderen Platz gebracht, könnte sie nicht länger unsere Gebetsrichtung sein.“

So soll man sein Herz auf Allah ausrichten, während man den Körper der Ka´ba zuwendet, denn die Gebetsrichtung des Herzens ist Allah.

Um den Zustand frommer Ehrerbietung im Gebet zu verwirklichen, ist es notwendig, die Absicht zum Gebet in vollkommener Weise zu fassen, in Übereinstimmung mit den Worten des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden: „Wahrlich, die Taten sind entsprechend ihren Absichten...“. Das heißt, dass wir uns bewusst werden sollten, in wessen Gegenwart wir sind, während wir beten. Und das bedeutet, genau auf die Ausrichtung des Herzens zu achten, während man sich gleichzeitig von allen Zielen, außer dem göttlichen Wohlgefallen, trennt.

Man sollte etwas von der gewaltigen Erhabenheit Allahs spüren, während man sein Gebet mit den Worten ‚Allahu akbar!’ beginnt. Wenn jemand zu Beginn des Gebets seine Hände hebt, sollte er damit alles hinter sich lassen. Im Herzen sollte er die Freude darüber spüren, in der Gegenwart Allahs zu sein und sein Gebet sollte mit der Empfindung beginnen, diese vergängliche Welt um des Jenseits willen verlassen zu haben.

Während er steht, sollte der Betende seine Augen auf den Punkt richten, auf dem seine Stirn in der Niederwerfung zu ruhen kommt. Er sollte sich stets bewusst sein, dass er vor Allah steht, ein hilfloses Wesen, das vollkommen auf seinen Herrn und Schöpfer angewiesen ist. Dabei sollte er versuchen, zu denen zu gehören, die unser erhabener Herr vor Seinen Engeln mit Worten wie: „Welch vorzüglicher Diener!“ lobend erwähnt.

Bei der Rezitation sollte er darauf achten, die Worte richtig und Wort für Wort auszusprechen und sich ihres Sinnes bewusst zu werden, um über sie nachzudenken und sie in seinem Leben in die Tat umzusetzen. Allahs Gesandter – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – hat gesagt:

Den Qur’ân zu rezitieren bedeutet, mit Allah zu sprechen![13]

Deshalb sollte man bei der Qur’ânrezitation aufmerksam sein.

In der Verneigung soll man sagen: ‚Gepriesen sei mein Herr, der All-Gewaltige’ und dabei über diese Worte nachdenken und versuchen, sich der gewaltigen Größe Allahs bewusst zu werden.

Ebenso soll man versuchen, sich, während des Lobpreises in der Niederwerfung mit den Worten ‚Gepriesen sei mein Herr, der Aller-Höchste’, der unbeschreiblichen Erhabenheit des Allmächtigen zu nähern. Und in dem Wissen, dass der Diener in dieser Position der Niederwerfung seinem Herrn am nächsten kommt, sollten wir uns bemühen, Ihm unsere Seele ebenso wie unseren Körper in demütiger Niederwerfung zuzuwenden. Nur so können wir des Geheimnisses teilhaftig werden, das in dem heiligen Vers beschrieben wird:

... und wirf dich (in Anbetung) nieder und komm’ näher (zu Allah)!“ (96:19)

In dieser Weise soll der Diener sich der Begegnung mit Allah erfreuen und versuchen, zu denen zu gehören, die Allah lieben und sich nach Seiner Liebe sehnen.

Während des Sitzens, nach jeweils zwei Gebetseinheiten, sollte der Diener in respektvoller Ergebenheit die Worte des Tahiyyât rezitieren und, im Bewusstsein seiner Schwäche und Unvollkommenheit, die Vergebung und barmherzigen Segnungen seines Herrn erbitten.

Wenn er sich dann zuerst nach rechts und dann nach links wendet, und das Gebet beendet, wobei er zu den beiden Engeln, die ihn begleiten, sagt: ‚Der Friede sei auf euch und die Barmherzigkeit Allahs!’, sollte er die Freude seiner Begegnung mit Allah empfinden und sie mit den beiden Engeln auf seiner rechten und linken Schulter teilen.

Wenn das Gebet so verrichtet wurde, dass es das Wohlgefallen des Allmächtigen findet, erwidern die beiden Engel den Friedensgruß und verkünden, dass es in dieser und der nächsten Welt angenommen ist, so wie Allah es im edlen Qur’ân beschreibt:

Friede sei auf euch, da ihr geduldig wart! Seht nun, wie wunderbar der Lohn der endgültigen Heimstatt ist!” (13:24)

Solche Erfordernisse des Gebets, wie fromme Ehrerbietung, rechtes Benehmen und die Erfahrungen der Begegnung mit Allah, sind nicht außerhalb menschlicher Reichweite. Das Empfinden spiritueller Freude darf keinesfalls nur als ein zusätzliches, zierendes Element des Gebets betrachtet werden, denn das Gebet des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, der uns zu beten lehrte, übertrifft jede derartige Einschätzung bei Weitem. Und ebenso wie das seine, sind auch die Gebete seiner Gefährten – Allah möge mit ihnen zufrieden sein – und der erwählten Gottesfreunde, die ihnen nachfolgen, lichtvolle Beispiele für uns.

 

[1] Tabarânî

[2] Abû Dawûd, Salât, 124

[3] Abû Dawûd und Nasâ’î

[4] M. Zakariyâ Kandehlevî, Fadâ’il al-A´mâl , 285-286

[5] Imâm Ahmad,Targhîb

[6] M. Zakariyâ Kandehlevî, Fadâ’il al-A´mâl , 251

[7] Tirmidhî

[8] Tirmidhî

[9] Tirmidhî

[10] Hakim, Mustadrak, I, 353

[11]labbayk!’ bedeutet ‚zu deinen Diensten!’

[12] Ihyâ ´Ulûm id-Dîn

[13] Abû Nu´aym, Hilya, 7, 99