Die Offenbarung und der Prophet

Unter Wahy (Offenbarung) versteht man im Arabischen unter anderem schnelles und geheimes Reden, befehlen, inspirieren, andeuten, kennzeichnen, Boten schicken. In der Koraninterpretation (Tafsir) hingegen ist die Offenbarung (Wahy) ein wunderbares und geheimnisvolles Ereignis, indem Allah der Allmächtige insbesondere seinen Propheten etwas in einer uns unbekannten Form offenbart, hinter einem Vorhang zu ihnen spricht, oder auch einen Boten zu ihnen sendet, der ihnen seine Wünsche mitteilt.

Allah der Allmächtige, der Herr und die Quelle der Offenbarung, bringt mit dem Vers „Siehe, wir übergeben dir ein gewichtiges Wort." die Last der Prophetie zum Ausdruck; und vielleicht meint Er gar die körperliche Belastung und befiehlt seinem Gesandten hierfür nachts aufzustehen und den Koran zu rezitieren und zu beten.

Das Gewicht der Offenbarung hat den Propheten während des Prozesses der Übermittlung belastet und ihn unter großen Druck gesetzt. Saß der Prophet beim Erhalten einer Offenbarung auf einem Kamel, so schien das Kamel unter der Last zusammenzubrechen. Man konnte beobachten, dass der Prophet erblasste, er trotz enormer Hitze zu zittern oder bei kühlem Wetter gar zu schwitzen begann. Als der Prophet einst Knie an Knie neben Zaid b. Sabit saß und eine Offenbarung erhielt, erklärte Zaid voll Staunen über sein Knie, das dasjenige des Propheten berührte: „Ich dachte beinahe, mein Knie würde brechen". Umar berichtet, „manchmal, wenn der Prophet eine Offenbarung erhielt, konnten wir um seinen Kopf herum einen Laut hören, der dem Summen einer Biene glich". All diese Zustände sind Ausdruck für die physischen Veränderungen, denen der Gesandte Allahs während der Offenbarungen ausgesetzt war.

Die Person des Gesandten Muhammad (sav) soll hier für eine nähere Erläuterung des Vorgangs der Offenbarung Allahs und dessen Verstehen durch den menschlichen Geist, genauer untersucht werden.

Die erste Offenbarung, das erste Schaudern

Nach einer sehr bekannten Überlieferung Bukharis berichtet Aischa (ra.) folgendermaßen über den Beginn der Offenbarung:

„Die erste Offenbarung des Gesandten Allahs begann mit einem wahrhaftigen Traumgesicht während des Schlafs. Alle seine Träume hatten sich immer verwirklicht. Ihm war die Einsamkeit, die Zurückgezogenheit stets lieb. Dazu wählte er die Berghöhle von Hira, in die er sich gewöhnlich für mehrere Nächte zurückzog und Allahs Nähe suchte - eine Art Gottesverehrung. Von Zeit zu Zeit kam er nach Hause um sich zu verpflegen, und begab sich dann zurück in die Höhle.

Eines Tages, als der Gesandte Allahs sich in Hira befand, kam ein Engel und sprach zu ihm: ‚Lies', und er antwortete: ‚ich kann nicht lesen'. Der Prophet erzählte: Der Engel umarmte mich, bis ich beinahe ohnmächtig wurde, und ließ mich wieder los und sagte: ‚Lies', und ich sagte: ‚ich kann nicht lesen'. Der Engel ergriff mich von Neuem, bis ich beinahe das Bewusstsein verlor, und sagte wieder: ‚Lies', und ich antwortete erneut: ‚ich kann nicht lesen' und er ergriff mich ein drittes Mal, bis ich beinahe ohnmächtig wurde, und sprach die Verse:

‚Lies! Im Namen deines Herrn, der erschuf, Erschuf den Menschen aus geronnenem Blut. Lies, denn dein Herr ist allgütig, Der die Feder gelehrt, Gelehrt den Menschen, was er nicht gewusst.' (al-'Alaq 96/1-5)

Der Gesandte Allahs ging anschließend rasenden Herzens nach Hause und sagte seiner Frau Khadidscha, der Tochter Khuwailids: ‚Deckt mich zu, deckt mich zu!'. Sie deckten ihn zu. Der Prophet Muhammad (sav) verblieb in dieser Weise, bis seine Angst verging, und erzählte anschließend seiner Frau Khadidscha von jenem Ereignis und sagte: ‚Ich bangte um mein Leben'.

Khadidscha beruhigte ihn mit den Worten ‚Nein, bei Allah (wallahi), mein Herr würde dich nie in Verlegenheit bringen. Denn du sorgst dich um deine Verwandten, nimmst den Bedürftigen ihre Last, beschenkst die Armen, beherbergst die Reisenden und hilfst dem Volk auf dem rechten Weg', und brachte ihn anschließend zu dem Sohn ihres Onkels Waraqa b. Nawfal. Dieser blinde, alte Mann war zur Zeit der Dschahiliya Christ geworden, konnte Hebräisch und kannte sich gut in der Bibel aus.

Waraqa hörte zu und sprach: ‚Was du gesehen hast, war der Erzengel Gabriel (Namus Akbar), den Allah Musa sandte. Oh, lebte ich doch in den Tagen der Verkündung und könnte ich dir doch helfen, wenn dein Stamm dich aus deiner Heimat vertreiben wird.' Daraufhin fragte der Gesandte Allahs: ‚Werden sie mich aus meiner Heimat vertreiben?' Und Waraqa antwortete: ‚Ja, denn es gibt keinen Propheten, gegen den man sich wegen seiner Offenbarungen nicht gestellt hätte! Wenn ich diese Tage erlebe, wenn ich dann noch am Leben bin, werde ich dir bestimmt helfen!'“ (Ende des von Aischa (ra) überlieferten Hadith)

Nach diesem ersten Ereignis erhielt er für eine Weile keine Offenbarung mehr. Dann kamen die Verse: „O du (mit deinem Mantel) Bedeckter (Muhammad) Steh auf und warne, Und deinen Herrn, verherrliche (ihn), Und deine Kleider, reinige (sie), Und den Gräuel, flieh (ihn)" (al-Muddathir 74/1-5); womit der Prophet schließlich mit der Verkündigung begann. 

Nach einer Überlieferung von Bukhari sprach Ibn Abbas: Wenn der Prophet eine Offenbarung empfing, bewegte er seine Lippen ganz schnell, um den Koran zu rezitieren. Daraufhin kam der Vers: „Rühre nicht deine Zunge, es zu beschleunigen. Siehe, uns obliegt seine (des Korans) Sammlung und Verlesung. Drum, wenn wir ihn verlesen, so folge seiner Verlesung. Alsdann obliegt uns seine Erklärung." (al-Qiyama 75/16-19)

In diesem Vers kann man Folgendes klar erkennen:

  • Während der Offenbarungen ist der Prophet bei voller Vernunft und Bewusstsein. Man darf aufgrund seines äußeren Zustandes nicht der Auffassung sein, dass er bewusstlos wurde oder nicht bei Sinnen war.
  • Im Koran wird dem Propheten befohlen, zu schweigen und zuzuhören, was darauf hindeutet, dass der Koran ihm in Wort und Klang vorgetragen wurde.
  • Der Koran wurde dem Propheten in seinem Wortlaut, mit Sinn und Erläuterung, vom Herrn der Offenbarung selbst auswendig gelehrt; es war nicht das menschliche Bemühen des Propheten, welches ihm das Auswendiglernen ermöglicht hatte!
  • Auch nachdem Gabriel die Offenbarung beendet und der physische Zustand des Propheten sich normalisiert hatte und dieser die offenbarten Verse aussprach, war dies nicht das Ergebnis seines menschlichen Vermögens; es war Allah, der ihn jene Verse vortragen ließ.

Mit den Worten „Rühre nicht deine Zunge, es zu beschleunigen", „uns liegt seine (des Korans) Sammlung und Verlesung ob" verbietet Allah seinem Gesandten, die Offenbarung nach eigenem menschlichen Wissen und Auffassungsgabe vorzutragen. Der Koran enthält alle Eigenschaften, die ein literarisches Werk vorweisen muss, und ist nicht vom Propheten, sondern vom Herrn der Offenbarung selbst geschaffen.

Die erste Verkündigung und die erste Reaktion

Die ersten Gläubigen waren Khadidscha, die Ehefrau des Propheten, ihr folgten Ali b. Abu Talib, Zaid b. Haritha und Abu Bakr, Sohn des Kuhafa (ra).

Allah (cc) sprach zu seinem Gesandten: „So tue kund, was dir geheißen ward, und kehre dich ab von den Götzendienern." (al-Hidschr 15/94) und erteilte dem Propheten somit die Anweisung, seine Botschaft offen zu verkünden und dabei bei seinen nahen Verwandten anzufangen; und so begannen die Reaktionen der Ungläubigen!

Die Ungläubigen wollten gemeinsam gegen den Gesandten Allahs und seine Botschaften vorgehen und hatten hierfür Walid b. Mughira beauftragt. Als sie begriffen, dass sie den Gesandten nicht als Wahrsager, Wahnsinnigen oder Poeten bezeichnen konnten, beschlossen sie, ihn als einen Zauberer (Magier) darzustellen.

Dabei gab es unter den Ungläubigen auch eine Gruppe von Menschen, die insgeheim an den Propheten glaubten, und sich bewusst waren, dass es sich bei der Offenbarung nicht um Menschenworte handelte. Doch da sie sich vor der vorherrschenden Macht fürchteten, war es ihnen nicht möglich gewesen, ihrem Herzen zu folgen. Utba b. Rabi'a sagte beispielsweise:

„Ich habe von ihm Dinge gehört, die ich nie zuvor gehört hatte. Diese Worte sind weder Dichtung noch Wahrsagerei. Sie sind völlig anders. Oh, ihr Anhänger der Quraisch, hört auf mich und lasst ihn allein, wenn es ihm nicht gelingt, so wird Arabien ihn vernichten, doch gelingt es ihm, so wird sein Sieg auch der Eure sein."

Und Walid b. Mughira berichtete über den Propheten und seine vorgetragenen Verse:

„Nein, bei Allah! Er ist kein Wahrsager, wir haben ohne Zweifel viele Wahrsager gesehen, doch gleichen seine Worte nicht dem unverständlichen Gemurmel der Wahrsager. Irrsinnig? Nein, bei Allah, er ist auch nicht irrsinnig, wir kennen den Irrsinn. Seine Worte gleichen auch nicht dem verwirrenden Brummen der Irrsinnigen! Ein Dichter? Nein, bei Allah, er ist auch kein Dichter!"

Im Koran heißt es, dass diese Menschen trotz ihrer gezeigten Abneigung nachts insgeheim kamen und dem Propheten bei seinem Koranvortrag zuhörten!

Ist ein Eingriff des Propheten in die Offenbarung möglich?

Diejenigen, die den Koran nicht als das Wort Allahs, sondern als eine Erfindung des Propheten Muhammad (sav) verstanden, sahen die verkündeten Worte zugleich als Verse, die man jederzeit beliebig ändern oder bestellen konnte. Sie wollten vor allem vermeiden, dass in der Offenbarung etwas gegen die von ihnen verehrten Götter/ Götzen gesagt wurde. Aus diesem Grund hatten einige den Propheten nach einem anderen Koran gebeten oder verlangt, die bis dahin erhaltenen Offenbarungen zu ändern.

Auf diese Wünsche hin sandte Allah, der Allmächtige folgende Verse:

Und so ihnen unsre deutlichen Zeichen verkündet werden, sprechen diejenigen, welche auf unsre Begegnung nicht hoffen: ‚Bring uns einen andren Koran als diesen oder ändre ihn ab.' Sprich: ‚Nicht steht es mir frei, ihn abzuändern aus eignem Antrieb. Ich folge nur dem, was mir offenbart ward. Siehe, ich fürchte, wenn ich wider meinen Herrn mich empöre, die Strafe eines gewaltigen Tages.'" (Yunus 10/15)

Neben der Gefahr einer Änderung der Verse oder der Zufügung von erfundenen Versen zwang die Möglichkeit einer Verwechslung der Hadith (Überlieferungen) mit den offenbarten Worten des Koran den Propheten, sehr vorsichtig zu sein.

Das Verhältnis Offenbarung - Prophet

Während der Offenbarung war der Prophet Muhammad (sav) völlig bei Bewusstsein und war, was ihren Empfang betrifft, voller Gehorsam dem Gotteswillen unterstellt. Er konnte die Zeit, die Größe und den Inhalt der Offenbarung nicht beeinflussen; sie konnte jederzeit eintreffen, gleichgültig, ob in Zeiten des Friedens oder der Feldzüge, bei Tag oder Nacht, im Schlaf oder in wachem Zustand. Folglich wurden ihm, je nach Verfügung Allahs, manchmal mehrere Verse oder Seiten auf einmal, an jedem Ort und zu jeder Zeit, offenbart. Aufgrund aufeinander folgender Verse war der Prophet Allahs von Zeit zu Zeit ganz erschöpft gewesen; doch gab es auch Zeiten, in denen er das heilige Wort sehnsüchtig erwartete, dieses jedoch nicht erhalten konnte. Es gab sogar Situationen, in denen kein bekanntes Urteil für eine mögliche Handlung vorlag, und der Prophet folglich nichts anderes tun konnte, als auf die Offenbarung Allahs zu warten.

Vahiy Gerçeği, Fecr Verlag, Ankara 1997

http://www.derletzteprophet.info/die-offenbarung-und-der-prophet (14.02.2011)